Die vorliegende Arbeit hat es sich zur Aufgabe gemacht, mit der Themenstellung "Netzaktivismus" eine relativ aktuelle Entwicklung aufzugreifen. Als nötig erschien mir hierbei von vornherein, den eigentlichen Kontext des Netzaktivismus, das Internet, einigermaßen genau in den Blick zu bekommen. Ursprünglich war also vorgesehen, zur Einleitung die militärgeschichtliche Herkunft des Internet zu klären und zu bewerten, um dann, anhand der Genese des Internet zu einem Massenmedium unter dem Stichpunkt "Gegenwärtige Nutzungsformen des Internet" der Frage nach der Faszination an diesem neuen Medium nachzugehen. Herausfinden wollte ich dabei, ob die Nutzer sich vornehmlich aktiv oder passiv an dem neuen Medium beteiligen und ob die "Aktivitäten", um die es schließlich in meiner Arbeit geht, überhaupt eine Relevanz für den Großteil der Internetnutzer hat. Dies stellte sich aber als schwieriger heraus, als erwartet. So kann auch in dieser Arbeit wenig darüber gesagt werden, warum denn das Internet in der Gegenwart eine so wichtige Rolle zu spielen scheint. An gegebener Stelle wird noch darauf zurückzukommen sein.
Zunächst war meine Vorstellung, dass das globale Computernetzwerk in seinen Anfängen ein mehr oder weniger geschlossenes Arbeitsmittel für Elitewissenschaftler gewesen ist, und erst mit seiner Öffnung aufgrund der Kommerzialisierung das Internet sein Potential zu einem "anarchistischen", weil nicht mehr kontrollierbaren Medium entwickelt hat. Dies sollte den Hintergrund bilden für die im Zentrum meiner Arbeit stehenden Gruppen. These wäre es dann gewesen, dass eine Technik aus dem Schoße des Militärs nach der Öffnung für seine Massenverfügbarkeit auch neue Formen des subversiven oder kreativen Umgangs mit dieser Technik hervorgebracht hat, welche ich unter dem Begriff "Netzaktivismus" zusammenfassen wollte. Diese These sollte anhand eines Textes von Hartmut Winkler entwickelt werden, in welchem er versucht, eine "technikzentrierte" mit einer "anthropologischen" Mediengeschichtsschreibung in Verbindung zu setzen:
"Das verbindende Schema, das ich vorschlagen will, also wäre dasjenige einer zyklischen Einschreibung. Technik ist das Resultat von Praxen, die in der Technik ihren materiellen Niederschlag finden; Praxen (einige, nicht alle Praxen!) schlagen um in Technik: dies wäre die erste Phase des Zyklus. Und gleichzeitig gilt eben das Gegenteil: dieselbe Technik ist Ausgangspunkt wiederum für alle nachfolgenden Praxen, indem sie den Raum definiert, in dem diese Praxen sich ereignen. Dies ist die zweite Phase des Zyklus."1
Am Beispiel des Netzaktivismus sollte dieses Modell der Einschreibung in Technik und des Rückschreibens in menschliche Praxen konkretisiert und auch hinterfragt werden. Nun ist diese Aufgabe zwar nicht obsolet geworden, allerdings wurde die Ausgangslage, die Umfunktionierung einer Militärtechnik, ein Stück weit hinfällig. Das ausführlich recherchierte Buch "Arpa Kadabra. Die Geschichte des Internet"2 lässt die Entwicklung des globalen Computernetzes in einem anderen Licht erscheinen. Es wendet sich gegen eine verengende Erklärung der Grundlagen des Internet aus seiner militärgeschichtlichen Herkunft heraus,3 stattdessen wird der "zivile" Nutzen vernetzter Computer klar in den Vordergrund gestellt: "Das Projekt verfolgte absolut friedliche Absichten, nämlich Computer in wissenschaftlichen Einrichtungen des ganzen Landes miteinander zu verbinden, damit die Forscher Rechnerkapazität gemeinsam nutzen konnten."4
So ergab sich für mich, wie gesagt, eine andere Ausgangslage: nicht mehr funktionieren "Netzaktivisten" Militärtechnik um, sondern sie arbeiten mit einer Technik, deren Intention gerade die Möglichkeit zu offener, kollaborativer Zusammenarbeit ist. In einem nächsten Schritt ergab sich dann auch eine Umwertung der Kommerzialisierung des Internet: zwar hat diese das Netz für seine Massenverfügbarkeit geöffnet, dabei hauptsächlich auf infrastruktureller Basis in Hinsicht auf Hard- und Software, nicht jedoch befördert die Kommerzialisierung die Vernetzung unter den Menschen. Dies lässt sich fast schon überdeutlich daran zeigen, dass in einem Artikel in der Frankfurter Rundschau das "peer to peer", oder "person to person" Prinzip als der neueste Trend im Internet dargestellt,5 und dabei vergessen wird, dass das Internet im Prinzip von Anfang an auf einer "host to host"-Architektur beruhte.6 So bringt die Kommerzialisierung des globalen Computernetzwerkes eine Öffnung für Millionen Menschen mit sich und, überspitzt formuliert, gleichzeitig eine Schließung des Netzes für eine Interaktion zwischen den Menschen.
Die ersten beiden Kapitel der vorliegenden Arbeit werden also versuchen, das eben gesagte zu verdeutlichen. In "Die Geschichte des Internet" gilt es, den zivilen Nutzen des Netzes herauszustellen. Hierbei sind die Personen J.C.R. Licklider und Tim Berners-Lee relativ wichtig. Licklider war mit den ersten Plänen zur Vernetzung von Computern betraut und stellte recht früh die Verwendung des Computers als eine "Kommunikationsmaschine" in den Vordergrund. Berners-Lee hingegen gilt als der Erfinder des World Wide Web, welches gemeinhin als eine wichtige Innovation für die Genese des Internet zu einem Massenmedium verstanden wird. Auch hier wird es mir wichtig sein, das World Wide Web als ein Instrument zur Kommunikation und weniger als ein Distributionmedium für digitale Inhalte zu kennzeichnen. Weiterhin werden dem "Usenet" und der Internetanwendung "E-Mail" aus diesem Grunde eigene Abschnitte gewidmet, dienen doch beide der Kommunikation und der Zusammenarbeit.
Im zweiten Kapitel sollen zweierlei Tendenzen behandelt werden. Auf der einen Seite gibt es seit mehreren Jahren Versuche, im Internet Strukturen zu errichten, welche am besten mit dem Begriff "Push"-Medien zu fassen sind. Etabliert werden sollen hierbei "Informationskanäle", die den Nutzer wieder in eine passive Konsumentenrolle drängen. Notwendig für die Unternehmen wird es dabei, möglichst lückenlos Auskunft über ihre Kundschaft zu erhalten, um diese personengerecht mit vorgefertigten Angeboten beliefern zu können. Im Zuge der "Informationsgesellschaft" kommt es so zu immer mehr Informationen, wobei die gewinnträchtigsten scheinbar die Informationen über den Nutzer sind. Obwohl Unternehmen einerseits in manchen Fällen gegen das Einverständnis der "Kunden" Informationen sammeln und weitergeben, soll andererseits gerade dies, die unerlaubte Weitergabe von Informationen, bei den Nutzern verhindert werden. Die andere Tendenz, auf die ich dementsprechend eingehen möchte, ist das Ausweiten und mitunter aggressive Verteidigen von Urheberschutzbestimmungen. Wie schon gesagt wurde, ist das Internet entstanden, damit eine Vielzahl von Personen Zugriff auf gemeinsame "Ressourcen" haben können. So ist es an und für sich nicht weiter erstaunlich, wenn sich im Internet eine rege Kultur des "File-sharing" ausgebildet hat. Das hiervon auch urhebergeschützte Daten betroffen sind, beunruhigt derzeit insbesondere die Musikindustrie. Die sich nun ausweitenden Bestimmungen zum Schutze digitaler Inhalte bewirken allerdings, neben der Existenzsicherung von Künstlern und Autoren, nicht zuletzt deutliche Restriktionen für den Umgang mit kulturellen Produkten. Beobachten lassen sich Versuche, das Internet zusätzlich zur Distribution auch zur Überwachung der Verwendung von Kulturprodukten zu verwenden. Die Gefahr, die dahinter steht, ist, dass Kreativität zunehmend zu einer Frage der entsprechenden finanziellen Mittel wird: "Wir befinden uns heute in einer Situation, in der die Inhaber von Trademarks dafür sorgen, dass der Grad der Freiheit des Einzelnen davon abhängt, wieviel Geld er hat."7
Die ersten beiden Kapitel bilden so die Basis, auf der der eigentliche Gegenstand dieser Arbeit positioniert werden soll. Um darauf hinzuleiten, werden zunächst die Begriffe Netzaktivismus und Netzkunst kurz eingeführt. Wichtig ist mir, dass ich nicht beabsichtige, einen Diskurs über Kunst, Politik oder Gesellschaft zu führen. In dieser Hinsicht habe ich mich dagegen entschieden, politische oder künstlerische Traditionslinien auch außerhalb des Internet anzuführen, die eine "Einordnung" der von mir besprochenen Gruppen oder Projekte ermöglichen würde. Insofern soll auch nicht behauptet werden, dass bestimmte Praktiken erst durch und im globalen Computernetzwerk entstehen konnten. Andererseits soll aber klar werden, dass die freie Software, dass Jodi, etoy und RTMark mit dem Netz in Beziehung stehen oder auf dieses reagieren. Neben dem Verzicht, Kontexte von außerhalb des Netzes einzubeziehen, nehme ich auch weitgehend davon Abstand, in dieser Arbeit andere Netzkunst- oder Netzaktivismusprojekte aufzuzählen. Es sind zu viele Namen, zu viele URLs, und eine etwaige Auswahl nach Wichtigkeit erscheint mir als wenig hilfreich. Wer sich einen Überblick verschaffen möchte, wird ihn etwa bei der Suchmaschine für Netzkunst "verybusy"8 oder bei RTMark selbst finden.9
Im Hauptteil der Arbeit werden die eben benannten Gruppen eingehend vorgestellt, wobei die Reihenfolge keiner eindeutigen Intention unterliegt, da die Kapitel nicht aufeinander aufbauen. Lediglich das "Toywar" Kapitel steht hinter den Erläuterungen zu etoy und RTMark, da diese im Toywar eng zusammengearbeitet haben. Ansonsten stehen die Kapitel für sich, jedes hat seinen eigenen Gegenstand.
Beginnen werde ich mit meinen Ausführungen über Jodi. Im Vordergrund steht dabei das "Chaos", welches die beiden Netzkünstler anrichten. These wird es sein, dass die Kunst Jodis dazu geeignet ist, den Mythos des funktionalen Computers zu destruieren, um diesen als ein Stück Kulturgut zurückzugewinnen. In diese Richtung, der Rückgewinnung einer "Kulturtechnik", weist auch das Kapitel über die freie Software. Bei "GNU/Linux"10 steht dabei das Prinzip der offenen Softwareentwicklung und die Geschichte der freien Software im Vordergrund. Wichtig ist mir allerdings nicht die Technik, auch wenn das Kapitel den Anschein erwecken mag. Vielmehr geht es um die gesellschaftlichen Implikationen, die das Modell der quelloffenen Software mit sich bringt: "The core of the GNU project is the idea of free software as a social, ethical, political issue: what kind of society do we want to live in?"11 Die Erläuterungen über die freie Software einerseits und Jodi andererseits stehen dabei in einem relativ scharfen Kontrast zueinander und bilden dementsprechend den im Titel dieser Arbeit erwähnten technischen, beziehungsweise künstlerischen Pol des Netzaktivismus.
Besonders schwierig zu beschreiben als auch zu beurteilen sind die Aktionen und Praktiken der Schweizer Künstlergruppe etoy. Schon die konsequente und auch von mir beibehaltene Kleinschreibung des Namens etoy verweist auf eine Art Grenzverwischung. Bestimmte Computerbetriebssysteme, wie etwa Microsoft DOS, unterscheiden nicht zwischen Groß- und Kleinschreibung. Die Differenz zwischen den Schreibweisen wird obsolet, ebenso obsolet, wie bei etoy die Unterscheidung zwischen den Konzepten "virtuell" und "reell" wird. Konzept und Absicht bei etoys Spiel mit der Oberfläche ist die Grenzverwischung, aus der etwas Surreales oder Absurdes entstehen soll.12 Aus diesem Grund wird bei etoy aber selten klar, was ernsthaft und was ironisch gemeint ist. In dieser Stärke der Kunst von etoy liegt dann eben auch die Schwierigkeit; permanent setzt man sich der Gefahr aus, sich aufs "Glatteis" zu begeben. So kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen, ob etoys Wandlung zu einer Aktiengesellschaft ein erfolgversprechendes Marketingmodell für ihre Kunst, oder aber beißende Kritik am gegenwärtigen Primat des "Shareholder-Value"-Gedankens ist.
Kritik an der globalisierten, sich der Kontrolle demokratischer Institutionen vielfach entziehenden Marktwirtschaft, steht hingegen unzweideutig im Zentrum der Taktiken von RTMark. Aus ihrer Kritik wird allerdings eine durchaus innovative Umfunktionierung marktwirtschaftlicher Unternehmensmodelle. Auch bei RTMark ist der Name Programm: er besteht aus den international gebräuchlichen Abkürzungen für eingetragene Warenzeichen "®" und "TM", dem das Wörtchen "ark" angehängt wurde. RTMark sind eine Arche, sie bieten eine Art "Rettungsinsel" im Internet zwischen allgegenwärtig präsentem geistigen Eigentum, welches durch die Siglen ® und TM gekennzeichnet ist.13 RTMark erscheinen im Gewande einer proftiorientierten Firma, sie sind "Makler" für kulturelle Sabotageaktionen und der Profit ist kultureller Gewinn. Daneben treten RTMark zudem als Produzenten von gefälschten Internetseiten in Erscheinung. Ihre Form der Mimikry an Unternehmenskonzepte setzt sich bruchlos in ihren "Fake-Sites" fort. Die Fälschungen nehmen das "Original" als Ausgangsbasis um es in seine eigene Kritik umzuwandeln. Hierbei ist es zudem die Gegenwehr der Betroffenen, welche die Fälschung erst komplettiert.
Um Gegenwehr geht es insbesondere im "Toywar". Hier sind etoy die Angegriffenen, sie sollten von einem der größten E-Business Unternehmen verdrängt werden. Die gewonnene Auseinandersetzung um den Domain-Namen "www.etoy.com" gilt als wichtiger Sieg im Kampf gegen eine Domestizierung des Internet, welche aus dem globalen Computernetz eine möglichst lückenlose Verkaufs- und Distributionsmaschinerie machen möchte. Diese "Reinigung" des Internet zu Zwecken der Kommerzialisierung, welche sich sehr gut anhand des Toywar aufzeigen lässt, kulminiert in meinem letzten Kapitel im Bild der "nahtlosen Oberfläche".
Hierfür greife ich zunächst auf Aussagen Adornos über das lückenlose System "Kulturindustrie" zurück und konfrontiere diese mit einem aktuellen Beispiel, in welchem "alte" und "neue" Medien in einem integrierten Konzern aufgehen: der Zusammenschluss von Time Warner und AOL. Als weiteres Beispiel für eine nahtlose Integration dient der quasi-Monopolist Microsoft, dessen Geschäftspraktiken unlängst Anlass zu einem Kartellprozess gewesen sind. Anhand Friedrich Kittlers Kritik an der "Black-Box", die der Computer nach seiner "Schließung" durch große Softwarekonzerne darstellt, möchte ich überleiten auf Vilém Flussers Utopie einer "telematischen Gesellschaft", welche allerdings auch und gerade "als eine Kritik der Gegenwart"14 gelesen werden soll.
Im Zentrum sollen dabei aber nicht diese drei Autoren stehen, vielmehr sollen diese in Verbindung mit den Beispielen "Time Warner AOL" und "Microsoft" dazu dienen, das Bild der "nahtlosen Oberfläche" zu stützen, welches von Eric Kluitenberg in seinem Aufsatz "Smash the Surface / Break Open the Box / Disrupt the Code"15 entworfen wird. In diesem Text stellt sich Kluitenberg zur Aufgabe, die Fälschung der "WTO" Internetseite durch RTMark, ihre Form des "media hacking", als eine Aktualisierung avantgardistischer Praktiken darzustellen. Zuguterletzt werde ich dann die drei Imperative, die Kluitenbergs Aufsatz den Titel geben, in Verbindung zu den von mir besprochenen Gruppen zu setzen. In dieser Hinsicht gilt es also aufzuzeigen, dass sich insbesondere Jodi das Zertrümmern der Oberfläche zu eigen gemacht haben und die freie Software das Aufbrechen des "Black-Box"-Systems Computer. RTMark und etoy hingegen praktizieren die "Störung" im sich verfestigenden Code des Internet als ein "commercial system".16
Ein wichtiger Gedanke, der in dieser Arbeit entwickelt werden soll, ist, dass das Potential des neuen Mediums Internet insbesondere in der Möglichkeit liegt, über die vernetzten Computer auch Menschen zu vernetzen. Dafür ist es erforderlich, dass die Nutzer nicht nur lesend, sondern auch und gerade schreibend an dem Medium, an der "Informationsgesellschaft" teilhaben und die Grundlagen hierfür wurden, wie im folgenden Kapitel zu zeigen sein wird, bereits bei der Entstehung des Internet gelegt.