Vor: Literaturverzeichnis Hoch: Inhaltsverzeichnis Zurück: Toywar

Unterabschnitte

Der integrierte Konsument

"An der Einheit der Produktion soll der Freizeitler sich ausrichten. Die Leistung, die der kantische Schematismus noch von den Subjekten erwartet hatte, nämlich die sinnliche Mannigfaltigkeit vorweg auf die fundamentalen Begriffe zu beziehen, wird dem Subjekt von der Industrie abgenommen. Sie betreibt den Schematismus als ersten Dienst am Kunden. In der Seele sollte ein geheimer Mechanismus wirken, der die unmittelbaren Daten bereits so präpariert, daß sie ins System der Reinen Vernunft hereinpassen. Das Geheimnis ist heute enträtselt."1

In der "Dialektik der Aufklärung" von Max Horkheimer und Theodor W. Adorno findet sich unter der Kapitelüberschrift "Kulturindustrie - Aufklärung als Massenbetrug" eine bittere Analyse der Mechanismen einer Produktionsweise, welche Kultur und Amusement, in anderen Begriffen etwa "High-Culture" und "Low-Culture" miteinander verschmilzt: "Kultur heute schlägt alles mit Ähnlichkeit. Film, Radio und Magazine machen ein System aus. Jede Sparte ist einstimmig in sich und alle zusammen."2 Dahinter steht, so Adorno, "die im System liegende Notwendigkeit, den Konsumenten nicht auszulassen, ihm keinen Augenblick die Ahnung von der Möglichkeit des Widerstands zu geben. Das Prinzip gebietet, ihm zwar alle Bedürfnisse als von der Kulturindustrie erfüllbare vorzustellen, auf der anderen Seite aber diese Bedürfnisse vorweg so einzurichten, daß er in ihnen selbst sich als ewigen Konsumenten, als Objekt der Kulturindustrie erfährt."3

Geschrieben wurde dieser Text nicht zuletzt unter dem Eindruck des neu aufkommenden Massenmedium Fernsehen: "[...] und hätte die Technik ihren Willen, der Film würde bereits nach dem Vorbild des Radios ins apartment geliefert. Er steuert dem 'commercial system' zu. Das Fernsehen deutet den Weg einer Entwicklung an, die leicht genug die Gebrüder Warner in die ihnen gewiß unwillkommene Position von Kammerspielern und Kulturkonservativen drängen könnte."4 Es hat den Anschein, als würde auch das Internet gegenwärtig dem "commercial system" zusteuern, nur, dass das Internet neben dem Angebot des Fernsehens mit der Möglichkeit zum "Online-Shopping" und "Online-Banking" viel deutlicher den Kommerz mit integriert. So ist es dann nicht weiter erstaunlich, dass etwa am Beispiel der Internet-Portale über fünfzig Jahre nach dem Erscheinen der "Dialektik der Aufklärung" zu ganz ähnlichen Befunden gekommen werden kann:

"Da ist es eigentlich ziemlich müßig, den Unterschieden in den einzelnen Angebotsmerkmalen im Detail hinterherzuhecheln. Auffällig sind die gemeinsamen Trends, welche die Sache auf den gemeinsamen Nenner bringen. Netzpforten unterstützen die Bequemlichkeit der User. Bequemlichkeit kann von Vorteil sein. Es bedeutet, daß man sich nicht anstrengen muß. Es bedeutet aber auch, daß man eigentlich nicht denkt, nichts unternimmt, sich nicht über die Pfade hinausbewegt, die von den fürsorglichen Portal-Site-Gestaltern für uns vorbereitet wurden."5

Es gibt jedoch einen Punkt, in dem sich Adorno bei der Niederschrift seiner pessimistischen Kritik am System Kulturindustrie ganz klar geirrt hat: dass etwa die Gebrüder Warner ins Hintertreffen geraten könnten gegenüber neuen Entwicklung im System der Medien. Dies geschah beim Fernsehen ebensowenig, wie derzeit beim Internet. Warner gelang es immer rechtzeitig, sich in den neuen Medien zu positionieren. Der Zusammenschluss von Time Warner und AOL im letzten Jahr markiert die erneute Allianz von "alten" und "neuen" Massenmedien, so dass sie sich nun erneut "einstimmig in sich und alle zusammen"6 präsentieren und als wiedervereintes Ganzes eine "nahtlose Oberfläche" ergeben.

Das Stichwort der vertikalen und horizontalen Integration ist es, welches die Ausweitung global agierender Medienkonzerne über mehrere Sparten hinweg in einem mehr betriebswirtschaftlichen Terminus fasst:

"Vertikal und horizontal integrierte Unternehmen beinhalten erstens: Produktion, Distribtion und Verleih z.B. von Filmen bleiben in einem Konzern. Zweitens: Der Konzern umfasst nicht nur eine Mediensparte, sondern unterschiedliche: Film- und TV-Produktionen, Musik, Zeitungen, Zeitschriften, Buchverlage. Auf diese Weise kann ein bestimmtes Produkt im Medienverbund mehrfach und in unterschiedlicher Weise vermarktet werden. Buch, Film, Comic, Musik-CD, TV-Serie, Video, alle Medienformate liefern ein bisschen Anderes zum gleichen Thema und bilden einen Cluster. Jedes einzelne Produkt steht in einer Werbekette und wirbt, via Cross-Promotion, für jeden anderen Artikel und das thematische Gesamtangebot gleich mit."7

In den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts ging bereits der Konzern Time Incorporations, welcher über eines großes Angebot an Printmedien verfügte, eine Verbindung mit dem Marktgiganten Warner Communications ein, der sich insbesondere im audiovisuellen Mediensegment engagierte. Beide Konzerne gerieten mit ihren Beteiligungen im Bereich von Kabelfernsehen und Pay-TV aneinander, fanden dabei aber auch zueinander. Die hieraus resultierenden "Synergieeffekte" betrafen sowohl die Fernsehkanäle von Time, in denen Warner seine Produkte umfassender distribuieren konnte, als auch den Printbereich von Time, der nun die Stoffe, fiktionale und nicht-fiktionale, für die Film-, TV- und Videoproduktionen von Warner zur Verfügung stellte.8 Mit dem im Jahre 2000 vollzogenen Zusammenschluss von Time Warner und dem weltweit größten Internet-Provider AOL geht die vertikale Integration verschiedener Mediensparten konsequent weiter. Nicht vergessen werden darf, dass AOL schon vor dem Zusammenschluss weit mehr als nur einen Zugang zum Internet bereitgestellt hatte. Vielmehr betreibt AOL seit jeher eine Online-Plattform mit eigenen Chat-Rooms und eigenem Informationsangebot. Die Option zu "Ausflügen" ins World Wide Web wird, nach dem Unternehmenszusammenschluss mit Time Warner für den AOL-Abonnementen allerdings erst recht obsolet: "[...] wir wollen nicht, dass AOL ein Ort ist, zu dem Leute hinkommen, um von da aus woanders hin zu gelangen, wir möchten den 'integrierten Konsumenten' schaffen."9 Was bei etoys Digital Hijack noch eine Kunstaktion gewesen ist, wird bei Time Warner AOL zu einer schlechten Realität:

"Sicherlich sind die 'integrierten Konsumenten' [...] das zentrale Thema. Die Vorteile, die Case für seine User ausmalte, seien, in dieser Reihenfolge, 'Unterhaltung', 'Einkaufen' und 'Kommunikation'. Im 'integrierten Environment' solcher potentiell geschlossenen Systeme ist die weitgestreckte Metapher der 'endlosen Möglichkeiten' eher eine Art Zwangsvollstreckung, eine Abschreckung vor 'etwas anderem da draußen'. Das könnte leicht dazu führen, dass der offene Zugang zu 'Markennamen' und zu nichts weniger als Informationen, welche sich außerhalb der Besitztümer von Time Warner AOL befinden, nicht mehr möglich sein wird. Schließlich ist AOL jetzt bereits ein geschlossenes System, das Informationen filtert und organisiert, und das nicht als ein Förderer des Webs als Massenmedium verstanden werden kann, sondern als ein Dienst, der das Internet als ein Themenpark anbietet."10

Die Verbindung zu dem geschlossenen System "Kulturindustrie" drängt sich geradezu auf, hatte Adorno doch schon anhand des Rundfunks die Absorbtion des Kunden in das System Kulturindustrie beschrieben:

"Der Schritt vom Telephon zum Radio hat die Rollen klar geschieden. Liberal ließ jenes den Teilnehmer noch die des Subjekts spielen. Demokratisch macht dieses alle gleichermaßen zum Hörer, um sie autoritär den unter sich gleichen Programmen der Stationen auszuliefern. Keine Apparatur der Replik hat sich entfaltet, und die privaten Sendungen werden zur Unfreiheit verhalten."11

Der Schritt zum Internet als "Themenpark" scheidet auch hier wieder klar die Rollen und es wird sich erst noch herausstellen müssen, ob das Netz weiterhin eine Apparatur der Replik bleiben kann, als das es schließlich einmal konzipiert worden ist. Hinzu kommt, dass der Medienkonzern Time Warner in seiner Fusion mit AOL nun viel ausgeprägter als bisher über die Verwendung seiner Produkte wachen kann. Bereits im zweiten Kapitel dieser Arbeit sollte deutlich gemacht werden, dass die Informationsindustrie im Internet nur bestehen kann, wenn sie die freie Vervielfältigung und Distribution ihrer Produkte unterbindet. Wie könnte dies aber besser geschehen, als in einer Allianz von Zugang zum Netz und Inhalt im Netz. Die individuelle Rezeption, aber auch Produktion erfährt in geschlossenen Systemen wie etwa Time Warner AOL ihre Filterung: "Konzerne wie Sony und AOL Time Warner verfügen in einem Ausmaß über wirtschaftliche Macht, dass diese sich durchaus in Zensurmacht ummünzen läßt."12 Diese möglich gewordene Zensur kann sich eben auch auf die Kunden von AOL erstrecken. Eine der grundlegenden Voraussetzungen für die "Freiheit" des Internet ist sein Prinzip der dezentralen Struktur, welches sich nicht zuletzt in der Unabhängigkeit der einzelnen Übertragungsschichten äußert:

"Die Infrastruktur des Webs kann man sich so vorstellen, als wäre sie aus vier horizontalen Schichten aufgebaut. Die unterste Schicht ist das Übertragungsmedium. Dann kommen die Computerhardware und die Software und schließlich auf oberster Ebene die Inhalte. Das Übertragungsmedium verbindet die Hardware auf ihrem Tisch mit dem Internet, die Software erzeugt den Zugriff auf das Web und die Websites, während das Web selbst nur aus Informationen besteht, die dank der drei anderen Schichten bestehen. Die Unabhängigkeit der drei Schichten ist wichtig."13

Bei dem Konzern Time Warner AOL aber verschmelzen Übertragungsmedium, indem AOL die Serverinfrastruktur bereitstellt, mit der Software in Form der Zugangssoftware zur AOL-Onlineplattform, welche zudem Browserfunktionalität beinhaltet, wobei auch nicht vergessen werden darf, dass Netscape schon seit einiger Zeit von AOL geschluckt worden ist.14 Hinzu kommen noch die "Inhalte" des Webs, geliefert von Time Warner. Selbst die Hardware ist nicht mehr neutral, da man bei dem Kauf eines PCs oftmals den Anschaffungspreis mindern kann, indem man in Verbindung mit dem Kauf auch gleichzeitig Abonnent von AOL wird. Von der durch Berners-Lee geforderten Unabhängigkeit der Übertragungsschichten, von der Neutralität des Mediums kann keine Rede mehr sein und es bleibt abzuwarten, inwiefern sich der Zusammenschluss von Time Warner AOL negativ auf seine Kunden auswirkt. Der "integrierte Konsument" jedenfalls wäre sicherlich keine positive Entwicklung.

Ein weiteres Beispiel der Integration unterschiedlicher Dienste, der Installierung einer "nahtlosen Oberfläche", liefert der weltweit größte Softwareproduzent Microsoft. Der Kartellprozess gegen Microsoft im Jahre 1999 sollte zur Klärung der Frage beitragen, ob der Softwarekonzern seine Marktmacht, sein Quasimonopol im Bereich der Betriebssysteme missbraucht, um Konkurrenten im Bereich der Anwendungssoftware auszuschalten. Anlass dazu bot die Bündelung des firmeneigenen Browsers "Internet-Explorer" mit den Betriebssystem Windows98. Hierbei argumentierte Microsoft vor Gericht, dass der Internet-Explorer integraler Bestandteil des Betriebssystems sei: die Bündelung geschehe nur zum Besten des Kunden. Vom zuständigen Richter wurde hingegen befunden, dass es keinen technischen Grund gebe, "warum es keine vorinstallierten Windows-Betriebssysteme ohne Browser geben könne."15

Microsoft eliminierte mit dieser Bündelung effektiv alle Gründe, sich die Software des bisherigen Marktführers Netscape unter Windows zu installieren. Zudem gelingt es Microsoft hierdurch, seine Marktführerschaft bei den Betriebssystemen zu festigen: "Durch einen hohen Verbreitungsgrad des IE wird auch die Stellung von Windows verteidigt, weil damit die Verbreitung betriebssystemunabhängiger, Browser-gestützter Technologien unterbunden wird."16 Letzeres bedeutet aber nichts anderes, als dass Internet-Anwendungen, wie zum Beispiel die Multimediasoftware "Realplayer", irgendwann nicht mehr für die Browser entwickelt werden, sondern gleich für das Betriebssystem Windows, da in diesem Fall sowieso beides eins ist: "Das Endergebniss all dessen ist, dass einige Innovationen, die den Konsumenten zugute kommen könnten, aus dem einzigen Grund nicht stattfinden, weil sie mit Microsofts Eigeninteresse nicht übereinstimmen."17

Weiterhin gehört es zu den Praktiken Microsofts, ihre Software zu einer Einheit mit der Computerhardware zusammenzufassen. Hierzu dienen Verträge mit großen Hardwarehändlern, den sogenannten "Original Equipment Manufacturers" (OEM), in denen diesen untersagt wird, Computer ohne ein bereits komplett vorinstalliertes Microsoft Betriebssystem zu vertreiben. Kann man dann bei bestimmten Händlern nur noch Windows-Computer kaufen, so ist es nicht weiter verwunderlich, wenn diese Computer in einem nächsten Schritt auch noch bestimmte Inhalte "bevorzugen":

"Wenn etwa Microsoft bei seinem 'Active Desktop' 30 Unternehmenslogos von Firmen, wie Disney, Time Warner, AOL, Pointcast etc. anbietet, dann könnte diese Platzierung, wenn sich der Explorer 4.0 durchsetzt, zu einem verstärkten Verkehr auf die befreundeten Unternehmen führen. Die Vermischung der Anbieter von Inhalten mit Firmen und die wirtschaftliche Konzentration kann für unabhängige Online-Publikationen, weil verführerisch, gefährlich werden, wenn nicht sowieso bereits im Sinne von Produktplacement gearbeitet und gedacht wird."18

Die Verwendung des Konjunktiv in diesem Zitat deutet es bereits an. Nicht notwendig muss der Nutzer auf "Angebote" eingehen, die bei neuen Computern mit vorinstalliertem Betriebssystem gleich nach dem Systemstart auf der grafischen Benutzeroberfläche sich präsentieren.19 Ebenso wenig muss der Nutzer den Microsoft Internet-Explorer verwenden, er darf sich zusätzlich auch andere Browser installieren,20 nicht jedoch darf er Microsofts Produkt deinstallieren. Auch den Microsoft Mail-Client "Outlook-Express" muss man nicht benutzen, wenngleich er standardmäßig mitinstalliert wird, es sei denn, man missachtet die Warnungen beim Setup, dass eine benutzerspezifische Konfiguration nur dem "erfahrenen Benutzer und Systemadministrator"21 vorbehalten bleibt. Vieles kann man den eigenen Anforderungen entsprechend anpassen, möchte man sich die Mühe machen, ansonsten darf man getrost darauf vertrauen, dass die Voreinstellungen in der Software den eigenen Wünschen entspricht:

"Aber der Computerhaushalt heute, zumindest im weltweit größten Marktsegment der Prozessorschmiede Intel, ist ein Abenteuer. Seitdem IBM die Marktführerschaft an einfallsreichere Konkurrenten verloren hat, herrscht im Hardwarebereich anstelle der Standards ein Chaos [...]. Rettung verspricht die neue Windows-Version, die ja schon im Namen nicht mehr mit Versionsnummer, sondern als Weinjahrgang aufwartet. Ein Betriebssystem, das alles verwaltet - von den Festplatten über den Bildschirmaufbau bis zur elektronischen Vernetzung -, leistet zwar auch nicht mehr als altehrwürdige Konkurrenten (von Unix bis zum System 7). Aber es löst Microsofts Vorsatz ein, Benutzern die Sache nicht bloß einfacher, sondern einfach zu machen."22

Räumte Windows95 noch mit dem Chaos der heterogenen Hardware auf, so nimmt Windows98 dem Nutzer zudem bei der Internet-Software die Entscheidung ab: diese ist Bestandteil des Betriebssystems geworden.

Ein Betriebssystem ist im Prinzip eine Hardwareerweiterung und so lediglich Schnittstelle zwischen Hard- und Software. In Verbindung mit einem Kommandozeileninterpreter sowie kleinerer Hilfsprogramme zur Dateiverwaltung wird das Betriebssystem beim Starten des Computers in den Arbeitsspeicher geladen. Zunächst ist der Computer also noch "neutral", erst die Anwendungssoftware verwandelt ihn etwa in einen Flugsimulator, in eine Schreibmaschine oder stattet ihn mit einer grafischen Benutzeroberfläche aus, dem virtuellen "Schreibtisch". Mit der Einführung von Windows 1.03 gegen Ende des Jahres 1985 war die Benutzeroberfläche noch klar geschieden von seinem Betriebssystem DOS. Nach dem Laden von DOS startete man Windows, ganz wie ein normales Anwendungsprogramm mit dem Befehl "win". Die Lage änderte sich aber mit Windows95, bei dem die Benutzeroberfläche ohne expliziten Aufruf gleich mitgestartet wird, das Betriebssystems ist gleichzeitig virtueller Schreibtisch. Was an dieser Stelle noch duchaus Sinn macht, verselbsständigt sich zunehmend bei Windows98. Hier wird auch schon das ein oder andere Anwendungsprogramm mit integriert, das in keiner Weise etwas mit dem Betrieb oder der Administration des Systems zu tun hat. In dieser Hinsicht war es nur folgerichtig, dass der Microsoft-Konzern im Kartellprozess dazu verurteilt wurde, bis zu seiner vollendeten Zerschlagung in unabhängige Firmen die Bereiche Betriebssystem und Anwendungssoftware deutlich voneinander zu trennen: "Until Implementation of the Plan, Microsoft shall [...] preserve, maintain and operate the Operating Systems Business and the Application Business as ongoing, economically viable businesses, with management, sales, products, and operations of each business held as separate, distinct and apart from one another [...]."23

Diesem schleichenden Prozess, unter dem Konzept "Betriebssystem" immer mehr zusammenzufassen, kommen auch die Multimedia-Fähigkeiten des Computers entgegen: "Der Computer als Universale Turingmaschine kann alle anderen Maschinen simulieren, und Windows 95 ist auf dem Weg, immer mehr externe Medien zu virtualisieren."24 Laut Kittler ist es eine den Medien inhärente Tendenz, dass Medien den Menschen immer an andere Medien anschließen: "Also sind Fernsehen und Telefonieren dazu gut, uns an andere Medien anzukoppeln - und andere Medien sind Medien um uns an weitere Medien anzukoppeln."25 Die Medien bilden Verbünde und gerade in diesem geschlossenen System eröffnen sich Möglichkeiten zu Intervention:

"Was gerade in dieser Geschlossenheit offenbleibt, sind die Möglichkeiten des Eingreifens und Abfangens, der Intervention und Interzeption. Rauschen und Zufälligkeit entsteht nach Shannon immer dort, wo Kanäle die Teilsysteme eines Medienverbundes aneinanderkoppeln. Deshalb wäre zu fragen, ob Interventionsmöglichkeiten nicht primär in der Vernetzung von Medien liegen und weniger im üblichen Gebrauch oder Mißbrauch von Einzelmedien."26

Es wäre ein interessanter Aspekt, wenn gerade Medienkopplungen diese anfällig für Störungen machen würden. Wenn in den nächsten Jahren das Internet also tatsächlich alle bisherigen Einzelmedien in sich aufnehmen sollte, und in Teilen findet es ja schon statt, dann wäre das wohlmöglich eine goße Chance. Nicht allerdings, weil der Mensch dann nahtlos an alle Medien gleichzeitig angeschlossen ist, sondern weil sich ihm mit einem Schlag ein riesiges Spektrum an Interventionsmöglichkeiten darbietet.

In Hinsicht auf ein alle Medien integrierendes Computerbetriebssystem würde die Frage allerdings offenbleiben: Interventionsmöglichkeiten enstehen, laut Kittler, an den Schnittstellen. Ein Multimediabetriebssystem aber verwaltet diese Schnittstellen von sich aus. Die je passende Software für eine Mediadatei wird automatisch gestartet. Aus Gründen der vollendeten Benutzerfreundlichkeit braucht der Nutzer gar nicht zu "intervenieren", um ein Musikstück oder eine Videodatei präsentiert zu bekommen. Die Frage ist dann, ob er in naher Zukunft überhaupt noch eingreifen darf:

"Eine famose, nämlich marktbeherrschende Softwareschmiede hat kürzlich die Parole ausgegeben, in naher Zukunft würden und sollten Computer so unauffällig wie Waschmaschinen werden - Black Boxes also, deren Innereien besagte Endbenutzer nichts mehr anzugehen braucht. Jedes Wissen über die Hardware wäre unter Bedingungen vollendeter Benutzerfreundlichkeit schlichter Luxus und jeder Versuch, sie zu denken, nur Relikt eines obsoleten Maschinenzeitalters.
Nun hat aber dieselbe Softwarefirma sehr viel weniger lauthals, nämlich in einem internen Geheimmemorandum, auch noch die Parole ausgegeben, in naher Zukunft jene Einzelnen oder auch Endbenutzer ganz so zu behandeln wie Computer auch. Beide, heißt es wörtlich, seien 'programmierbar'. Das Versprechen waschmaschineller Unauffälligkeit kippt folglich in eine Drohung um [...]."27

Wie es den Anschein hat, ist die Utopie des "integrierten Konsumenten" also nicht nur ein Wunschtraum von Time Warner AOL, sondern auch von Microsoft.

Nun ist die Integration unterschiedlichster Medien in eine Oberfläche keine Innovation der Softwarefirma Microsoft. Ebensowenig steht eine solche integrierte Benutzeroberfläche von sich aus im Dienste der "Entmündigung" des Nutzers. Auch das WWW bedeutet zunächst eine erhöhte Benutzerfreundlicheit. Wichtigste Absicht Tim Berners-Lee war schließlich die Bereitstellung sämtlicher im Internet bereits exisierenden Dienste und gerade auch unterschiedlicher Medienformate unter einem einheitlichen System, dem Hypertext. Ziel dabei war, dass alle Nutzer des globalen Computernetzwerks mit Hilfe dieses Standards miteinander kommunizieren können. Dafür muss aber der Webbrowser gleichzeitig ein Werkzeug sowohl zum Betrachten als auch Editieren von Web-Seiten sein. Dieser Gedanke der dialogischen Interaktion über ein technisches Medium steht bei Vilém Flusser im Zentrum seiner Utopie der "telematischen Gesellschaft".28 Hierfür entwickelt Flusser einen gänzlich positiven Begriff der "Oberfläche", den es im nächsten Abschnitt kurz zu referieren gilt.

Ein Lob der Oberflächlichkeit

Flussers 1985 erschienener Essay "Ins Universum der technischen Bilder" stellt sich zur Aufgabe: "die sich in den gegenwärtigen technischen Bildern (wie Fotografien oder Fernsehbildern) äußernden Tendenzen ein kleines Stück weiterzuverfolgen."29 Aufbauend auf seiner Beobachtung, dass alle technischen Bilder, sei es Fotografie, Video oder digitales Bild "aus Punktelementen zusammengesetzte Mosaiken"30 sind, und diese gegenwärtig das bisher vorherrschende Medium Schrift verdrängen, geht Flusser davon aus, dass sich die Lebensform des Menschen wandeln wird:

"Wenn Texte von Bildern verdrängt werden, dann erleben, erkennen und werten wir die Welt und uns selbst anders als vorher: nicht mehr eindimensional, linear, prozessual, historisch, sondern zweidimensional, als Fläche, als Kontext, als Szene. Und wir handeln auch anders: nicht mehr dramatisch, sondern in Beziehungsfelder eingebettet. Was sich gegenwärtig vollzieht, ist eine Mutation unseres In-der-Welt-Seins."31

Wie Flusser betont, "hat die Struktur der Informationsträger einen entscheidenden Einfluß auf unsere Lebensform."32 Mit der Ära des technischen Bildes, die er ab Mitte des 19.Jahrhunderts eingeleitet sieht, entsteht eine Gesellschaftsform des "Einbildens", deren Aufgabe es ist, nicht mehr wie bisher die Oberfläche in ihrer Punktstruktur zu erfassen, sondern, ganz im Gegenteil: "Technische Bilder sind überhaupt erst Bilder, wenn man sie oberflächlich anschaut."33 Im Gegensatz hierzu steht die diskursive Gesellschaft, die er als vom Medium Schrift abgeleitet erachtet. Konstituierend für diese ist "das Erforschen der tieferen Zusammenhänge, das Erklären, Aufzählen, Erzählen, Berechnen, kurz das historische, wissenschaftliche, textuell lineare Denken [...]."34 Das kausale, historische und diskursive Denken wird obsolet in der telematischen Gesellschaft und weicht dem Leben in der "reinen Information", in dem die objektive Welt, die Welt der Objekte verneint wird: "Körper werden immer uninteressanter, und körperlose, substanzlose, unterlagenlose Informationen immer interessanter."35

Mir kommt es im Rahmen dieser Arbeit nicht darauf an, Flussers Thesen zu bewerten, ich halte sie in jedem Fall für kritikwürdig. Worauf ich aber hinaus will, ist, dass Flusser aufgrund der von ihm apostrophierten neuen Form des "In-der-Welt-Seins" zu einem gänzlich anderen Begriff der Oberfläche kommen kann als Friedrich Kittler. Für diesen bedeutet die Oberfläche eine effektive Abschirmung des Benutzers von den unterhalb dieser Ebene ablaufenden Computerprozesse: "Zunächst einmal wurden, auf einer absichtlich oberflächlichen Ebene, brauchbare graphische Schnittstellen entwickelt, die, weil sie die zur Programmierung immer noch unumgänglichen Schreibakte verstecken, eine ganze Maschine ihren Benutzern entziehen."36 Für Flusser stellt sich dieses Problem nicht, für ihn entlastet die Oberfläche den Benutzer von den zugrundeliegenden Prozessen:

"Der Schreiber muß sich für die Struktur seines Textes interessieren [...]. Ganz anders der Einbildner: Er verfügt über automatische Apparate, die all dies für ihn ausklammern können, so daß ihm ermöglicht wird, sich völlig auf die einzubildende Fläche zu konzentrieren. Seine Kriterien beim Tastendrücken sind daher 'oberflächlich' in einem doppelten Sinne des Wortes: sie beziehen sich nicht auf den tieferen bilderzeugenden Vorgang, und sie sind allein auf die zu erzeugende Oberfläche gerichtet."37

Zwar bezieht sich Flusser in seinem Text auf das Erzeugen von Bildern, Kittler sich hingegen auf das Schreiben oder Programmieren, doch geht es in beiden Fällen um das Erzeugen von Informationen.38 Deutlich ist aber, dass beide ein vollkommen unterschiedliches Konzept von "Oberfläche" verwenden. In dieser Gegenüberstellung von Flusser und Kittler tritt genau der Zwiespalt zutage, wie er sich bei der Arbeit mit dem Computer fast schon notwendig ergibt. Für die alltägliche Arbeit am Computer ist es sicherlich nicht notwendig, bis ins Kleinste die Kontrolle über die verschiedenen Prozesse zu behalten. Diese dürfen gerne von vornherein automatisiert im Hintergrund ablaufen, so dass man sich voll und ganz auf die "oberflächliche" Arbeit konzentrieren kann. Treten aber Probleme auf, die sich nicht mit den üblichen Methoden beheben lassen, indem man etwa in den verschiedensten Programmmenüs oder Submenüs herumklickt, oder möchte man gar eine Funktionalität, welche von den Softwaredesignern nicht vorgesehen ist, dann wird es nötig, hinter die Oberfläche der Software zu blicken. Dies ist aber bei proprietärer Software nicht vorgesehen. Alles, was man mit einer solchen Software machen kann und darf, muss in die Oberfläche integriert sein. In dieser ist somit effektiv und unhintergehbar festgelegt, welchen Verwendungszweck eine Software hat. Fehlfunktionen und fehlende Funktionen können vom Nutzer nicht beseitigt, beziehungsweise eingefügt werden.

Eine Fehlfunktion macht Flusser allerdings im gegenwärtigen System der Medien aus: sie ermöglichen nicht den Dialog zwischen den Menschen. Insofern ist sein Text nicht nur ein "Lob der Oberflächlichkeit": "Daher will dieser Essay nicht (oder nicht in erster Linie) als eine Futurisierung des Fantastischen gelesen werden, sondern als eine Kritik der Gegenwart [...].39 Die technischen Bilder erfüllen laut Flusser momentan nicht ihre Funktion, da ihnen ein Programm zugrunde liegt, das im Wesentlichen diskursiv geschaltet ist. Die Bilder gehen von einem Sender aus und sind auf die Empfänger gerichtet:

"Die Medien bilden von den Zentren, den Sendern, ausgestrahlte Bündel. 'Bündel' heißen lateinisch 'fasces'. Die Struktur der von den technischen Bilden beherrschten Gesellschaft ist demnach fascistisch, und zwar ist sie fascistisch nicht aus irgendwelchen ideologischen, sondern aus 'technischen' Gründen. So wie die technischen Bilder gegenwärtig geschaltet sind, führen sie 'von selbst' zu einer fascistischen Gesellschaft."40

Die Bildempfänger werden von den Bildern beherrscht, sie werden von ihnen "programmiert". In einer "Feedbackschleife" programmieren die Empfänger aber auch die Bilder, etwa mittels Demoskopie oder Marktforschung: "Die Bilder werden immer mehr so, wie sie die Empfänger haben wollen, damit die Empfänger immer mehr so werden, wie sie die Bilder haben wollen."41 Dieser Feedback verhindert aber effektiv, dass die Menschen miteinander kommunizieren, sie werden im gegenwärtigen System der Medien vereinzelt: "Auf diese Weise zerstreuen die technischen Bilder die Gesellschaft zu Körnern."42 Resultat fehlender Kommunikation zwischen den Empfängern und der gleichzeitigen Einkapselung der Menschen in Feedbackschleifen ist die absolute Redundanz: "Eine Endzeit der ewigen Wiederkehr des Gleichen steht im Programm dieser Bilder."43

Einen Ausweg aus diesem Zirkel sieht Flusser in den neu entstehenden "dialogischen Fäden", diese können das "Bündelgewebe der emportauchenden Gesellschaft zu einem Netzgewebe verknüpfen, zu jenem Netzgewebe nämlich, das wir gewohnt sind, 'demokratisch' zu nennen."44 Diese Fäden zwischen den Menschen müssen allerdings erst noch geknüpft werden, was ein entsprechendes Engagement voraussetzt:

"Allerdings setzt ein solches Engagement voraus, daß der Umbau des Schaltplans selbst dialogisch vorgenommen wird. Denn wenn, wie gegenwärtig, die dialogischen Fäden von den Sendern, wie Regierungen oder kommerziellen Instituten, eingeführt werden, müssen sie, trotz ihrer dialogischen Funktion, im Dienste der Sender bleiben. Die Netze stützen dann die Bündel."45

Flusser entwickelt einen positiven Begriff der Oberfläche, auf der technische Bilder erscheinen, die von sich aus dialogische Qualitäten haben. Gegenwärtig ist dieser Dialog über die Bilder allerdings auf einen Feedbackverkehr begrenzt. Nötig wird ein Umbau dieser Struktur, der nur dialogisch, also von den Menschen ausgehend geschehen kann. Dieser Umbau erfordert aber zunächst, den gegenwärtigen "Konsensus zwischen Bildern und Menschen"46 aufzubrechen. Etwas "aufzubrechen" oder zu "stören" ist aber genau das, worum es Eric Kluitenberg in einem Aufsatz über RTMark geht. Was bei Flusser die Aufgabe der "gegenwärtigen Revolutionäre"47 ist, und bei Eric Kluitenberg, wie im nächsten Abschnitt kurz zu referieren sein wird, als neue Avantgarde-Praktiken bezeichnet wird, ist der Zusammenhang, in den ich neben RTMark auch etoy, Jodi und die freie Software stellen möchte.

Die nahtlose Oberfläche

Unter dem Titel "Smash the Surface / Break Open the Box / Disrupt the Code" veröffentlichte Eric Kluitenberg einen Aufsatz in der Mailingliste "Nettime", in welchem er versucht, den Begriff der Avantgarde auf die Aktivistengruppe "RTMark" anzuwenden. Für Kluitenberg ist im Internet eine neue Form der Avantgarde entstanden, gerade weil es zu einem Massenmedium geworden ist:

"The transferral of avantgarde practice from the realm of arts into the digital hypersphere is by no means accidental, it occurs right at the moment when the internet is turning into a mass medium, and at a moment when the surface of the internet is cleaned of its radical past, domestified, regulated, but also professionalised."48

Für Kluitenberg steht es außer Frage, dass das Internet in den nächsten Jahren den Fernseher verdrängen wird, dabei aber schlicht und einfach seinen Platz einnimmt. Die infrastrukturellen Maßnahmen, die Ausweitung der zur Verfügung stehenden Bandbreite sind allerorten im Gange. Was das Internet vom Fernsehen, von den alten Medien erben wird, ist die Aufrechterhaltung eines konstanten Datenstroms, welcher erst die Professionalisierung des neuen Mediums ermöglichen wird:

"The professional code demands the uninterrupted flow of information, communication and above all entertainment. This seamless media surface provides the viewer with the illusion of absolute professionalism and control. The image projected from the screens is that of completeness: The 'proper' image of the world is propagated through the appropriate and right use of the medium. It assures the viewer that her/his electronic ears and eyes are still in focus."49

Die durch und durch professionalisierten Medien sind in diesem Sinne zuallererst Medien der Redundanz und der Affirmation: der ununterbrochene und konsistente Informationsstrom erzeugt die Illusion einer ebenso konsistenten Welt. Im konstanten Datenstrom des Netzwerks, das Unterhaltung, Einkauf, Kommunikation und Spiel zu einer Einheit zusammenfasst und in dem der Medienwechsel nicht mehr erforderlich ist, bleibt kein Raum für das Unprofessionelle, für das Unwahrscheinliche. Der Informationsfluss muss erst unterbrochen werden:

"It is only in the moments when this flow is interrupted, when the code is broken, when the sound has collapsed and the screen has extinguished that the possibility for an alternative message, a new code is created."50

An dieser Stelle kommt die neue "Avantgarde" ins Spiel, ihr kommt die Aufgabe zu, diese nahtlose Medienoberfläche aufzubrechen. Bereits in der Einleitung habe ich darauf hingewiesen, dass ich nicht beabsichtige, den Avantgarde-Begriff von Kluitenberg zu übernehmen. Stattdessen halte ich die bereits vorgeschlagene Definition für Netzaktivismus als den "Gebrauch des Internet als Mittel des Protestes"51 für wesentlich offener. Das für mich wirklich spannende an Kluitenbergs Aufsatz ist aber das Bild der "nahtlosen Oberfläche" in Verbindung mit den drei Imperativen, die im Titel seines Aufsatzes verwendet werden. Diese werden nun von mir aufgegriffen und jeweils zu den von mir besprochenen Projekten in Bezug gesetzt.

Smash the Surface

Insbesondere die beiden Netzkünstler unter dem Pseudonym Jodi scheinen das "Zertrümmern der Oberfläche" geradezu programmatisch zu verfolgen. Mit professionellen Netzkunstwerken führen sie alle Professionalität schlichtweg ad absurdum. "7061.jodi.org" etwa zelebriert den simulierten Computerabsturz, entblößt vorgeblich mit fingierten Systemmeldungen und Warntönen dessen Inneres und lässt den Computer gleichzeitig als vollkommen absurd und unverständlich erscheinen. Der Alptraum des Virenbefalls scheint Wirklichkeit geworden zu sein, allen etwaigen Sicherungsmaßnahmen zum Trotz. Die Steuerung des heimischen Computers auf Ebene der grafischen Benutzeroberfläche mittels Maus, Menüs und Icons hilft nicht mehr weiter. Der Rechner gibt sich als dysfunktionale, opake Maschine zu erkennen, die Illusion einer, via Softwaredesign vermittelten Kontrollierbarkeit zerbricht. Als nicht minder unkontrollierbar erscheint der Computer in "oss.jodi.org". Die umherspringenden Browserfenster verleihen dem Computer ein unheimliches Eigenleben, das unabhängig von Nutzerentscheidungen entsteht und sich auch nicht ohne weiteres beenden lässt.

Wesentlich weniger spektakulär ist dagegen "404.jodi.org". Diese Werk wartet allerdings mit einer Möglichkeit zur Interaktion auf. Nutzt man das Angebot, so erscheint vorher eingegebener Text als Fragment wieder auf der Oberfläche. Hinter der in diesem Fall durch und durch unscheinbaren Oberfläche ist der Text einer Mutation unterlegen. Die Eingabe des Nutzers wird auf einer ihm verborgenen Ebene umgewandelt, eine Ebene, über die der Nutzer zunächst keine Kontrolle hat. Durchschaut er hingegen das System, versteht er, wie das seine Eingaben korrumpierende Programm aufgebaut ist, so bieten sich Möglichkeiten der Intervention, indem die Beschränkung mit Hilfe von Sonderzeichen umgangen wird.

Vollends mit dem Konzept der grafischen Benutzerschnittstelle aufgeräumt wird in "sod.jodi.org". Das 3D-Computerspiel Wolfenstein erscheint in Form seines Quellcodes. Einzig erahnen lässt sich seine ursprüngliche Funktion durch vereinzelte Soundfragmente und indem man den Code selbst liest. Herrscht hier noch die Kontemplation vor, so basiert Jodis spielbare Version des Kriegscomputerspiels Wolfenstein unter dem Titel "SOD" auf dem blanken Terror einer vom Spieler unkontrollierbaren Spielsituation, wenngleich, oder auch vielleicht gerade weil SOD wieder über eine grafische Oberfläche verfügt.

Es macht den Eindruck, als wollten Jodi gegen die Oberfläche ankämpfen, sie zertrümmern, allerdings nicht, um den Benutzer zu befreien, sondern um ihm zu zeigen, dass er nicht die geringste Kontrolle über sein System hat. Vielmehr sind es andere, die Einfluss über den Computer und damit im weitesten Sinne auch über den Benutzer ausüben. Im Fall der Netzkunstwerke von Jodi sind es die Künstler selbst, welche im Inneren des Rechners die Fäden ziehen: "When a viewer looks at our work, we are inside his computer. There is this hacker slogan: ' We love your computer'. We also get inside people's computer."52 Jodis Ziel ist es nicht, das Weltbild des Betrachters im professionellen Gebrauch von Medientechnologie zu bestätigen, sondern ihn geradezu zu verunsichern. In der Erschütterung, nicht in der Affirmation liegt das Wesen von Jodis Netzkunst.

Break Open the Box

Versuchen Jodi zu zeigen, dass der Nutzer keine Kontrolle über seinen Computer ausüben kann, so wäre der nächste Schritt, sich eben diese wieder zurückzugewinnen. Dazu wird es sicherlich hilfreich sein, überhaupt erst einmal zu verstehen, wie ein Computer aufgebaut ist, um dann weiterhin zu lernen, wie dieser gesteuert wird. Für die alltägliche Verwendung des Computers reicht es dabei selbstverständlich aus, die Funktionalitäten und die in den Menüs verborgenen Optionen grafisch aufbereiteter Computerprogramme auszuprobieren. Viele Probleme lösen sich über diesen Weg der intuitiven Technikaneignung. Hierbei jedoch ist und bleibt der Computer effektiv eine "Black Box". Der Input in Form etwa eines Mausklicks auf das Druckersymbol im Textverarbeitungsprogramm korreliert mit dem Output in Form von bedruckten Seiten, die vom Drucker ausgegeben werden. Was dazwischen vor sich geht, ist nicht einsehbar. Trotzdem der Computer ein wahrhaft komlexes Gebilde ist, kommt ihm diese Eigenschaft der Undurchsichtigkeit nicht von sich aus zu. Das Wissen um seine Funktionsweise ist im Quellcode der Software niedergelegt. Aus Gründen des Urheberschutzes wird bei proprietärer Software dieser Code allerdings nicht mitgeliefert und das Verständnis der Funktionsweisen, das Wissen um die Abläufe wird verhindert. Geschlossene Software, im Gegensatz zu quelloffener Software rückt damit in den Status einer Geheimwissenschaft, ein Geheimwissen, das es gilt unter allen Umständen gegen eine Einsicht von außen zu verteidigen. Was unter der Prämisse des Schutzes geistigen Eigentums seine Berechtigung findet, kann in eine Kontrolle marktführender Softwareproduzenten über seine Nutzer umkippen. Nicht nur, dass Entwickler kommerzieller Software ein Stück weit bestimmen, was für den Kunden überhaupt sinnvoll ist, können bei geschlossener Software ohne weiteres Funktionen implementiert werden, die ganz klar vor dem Nutzer verborgen werden sollen. Dies sind etwa Kopierschutzmaßnahmen oder Möglichkeiten, um personenbezogene Daten über den Computerbenutzer sammeln zu können. Natürlich kann auch freie Software zu solchen Zwecken verwendet werden, nur kann dies hier nicht verborgen werden, da freie Software prinzipiell von der Öffentlichkeit überprüft und korrigiert werden kann.

Wie bei keinem anderen Betriebssystem hat der Nutzer von GNU/Linux die Möglichkeit, sich seine Software den eigenen Wünschen entsprechend zusammenzustellen und den eigenen Anforderungen anzupassen. GNU/Linux bildet keine nahtlose Oberfläche, der Eingriff von Nutzern ist geradezu erwünscht. Die offene Softwareentwicklung ist auf die Beteiligung vieler angewiesen, und diese Beteiligung soll eben nicht nur im Kauf eines fertigen Produktes bestehen. Dies ist insofern wichtig, da mit den Distributionen ein GNU/Linux-System inzwischen relativ problemlos installiert werden kann. Die deutsche SuSE-Distribution bietet dabei verschiedene Set-Up-Optionen an, die es etwa erlauben, GNU/Linux vorkonfiguriert als Standard-Desktop-System zu installieren. Dies trägt zur Popularität von GNU/Linux einiges bei und ermöglicht den leichten Einstieg, lässt aber unter Umständen vergessen, dass es bei freier Software um mehr geht, als um ein kostengünstiges Betriebssystem. Es geht darum, im gegenwärtigen Konzentrationsprozess globaler Medienunternehmen, unter denen die großen Softwareproduzenten mit zu den Mächtigsten gehören, den Computer statt als Konsumgut als ein Kulturgut zu bewahren.

Die Apparate der Mediengesellschaft, zu deren neuesten der Computer gehört, werden laut Flusser hauptsächlich von den Programmen der "Sender" gesteuert und aus diesem Grund fordert er das Umprogrammieren der Apparate. Die Empfänger sollen ihre "Eigenprogramme" schreiben:

"Im Begriff 'Eigenprogramm', der hier zur Diskussion steht, liegt der Akzent auf 'eigen'. Es ist mein Programm und nicht das eines anderen. Ich will mein eigenes Programm haben, damit kein anderer mir das seine aufsetzen kann. Ich will besitzen um nicht besessen zu werden. [...] Dem widerspricht allerdings die Erfahrung, die wir von der emportauchenden Informationsgesellschaft gegenwärtig haben. Wir erfahren sie als Informationsimperialismus. Die Sender besitzen die Programme, und wir sind von ihnen besessen. Telematisierung wäre demnach eine Technik, die Programme aus dem Besitz der Sender zu reißen, um sie zum Eigentum aller Empfänger zu machen."53

Bei dem Projekt der freien Software werden mittels einer "telematischen" Technik, der Verschmelzung von Telekommunikation und Informatik im Internet, "Eigenprogramme" geschrieben. Wichtig ist dabei die Weitergabe oder Offenlegung des Quellcodes. Auf diese Weise "geht es nicht mehr darum, ein eigenes Programm zu haben, damit kein anderer mir das seine aufsetzen möge, sondern im Gegenteil darum, andere Programme (Programme anderer) zu haben, um sie ändern (für andere vorschlagen) zu können."54 Diese Freiheit des Um- und Weiterschreibens der Programme anderer, ebenso wie die Weitergabe veränderter Programme wird durch die GNU General-Public-License geschützt. Quelloffene Software öffnet die "Black-Box" des Computers, die GPL verhindert die erneute Schließung. Aus der Geheimwissenschaft kommerzieller Softwareproduzenten wird bei der freien Software öffentliches Wissen unter öffentlicher Kontrolle.

Disrupt the Code

Um Öffentlichkeit geht es auch RTMark und etoy. RTMark etwa besitzen die Funktion eines "Brokers". Als Makler vermitteln sie Ideen zur kulturellen Sabotage, welche von ihren "Autoren" in den öffentlichen Raum des World Wide Web gestellt werden, um dort diskutiert und kritisiert zu werden. Dahinter steht immer die Hoffnung, dass sich in der Öffentlichkeit Personen finden, die Geld oder Arbeitsleistung in ein solches Projekt einbringen. Aus Effektivitätsgründen werden Sabotageaktionen dann zu Investmentfonds gebündelt, die der Aufsicht eines "Spezialisten" unterstellt werden. Gebündelt werden auch auf der RTMark Webseite unter dem Menüpunkt "World" bereits bestehende Projekte und Aktionen. So entsteht ein öffentliches Forum, auf dem ein jeder sein subversives Potential einbringen kann, um die Vorherrschaft global agierender Konzerne in Frage zu stellen. Beklagen RTMark den Kontrollverlust demokratisch gewählter Regierungen gegenüber internationalen Unternehmenszusammenschlüssen, so reagieren sie hierauf mit einem internationalen Zusammenschluss antikommerzieller Kräfte. Das RTMark dabei im Gewande einer privatwirtschaftlichen Organisation auftreten und deren Konzepte von den "Mutual Funds" über den "Business-Plan" bis zur "Limited liabiltiy" übernehmen, bedeutet im Grunde nichts anderes als das Schlagen des Gegners mit den eigenen Waffen, ähnlich wie bei der freien Software das "Copyright" zu dessen Gegenteil, dem "Copyleft" umgewandelt wird.

Das Prinzip der Mimikry findet insbesondere in den Fake-Sites seine Anwendung, mit dem Effekt, dass George W. Bush RTMarks Parodie in den Rang eines Wahlkampfkomitees erhoben sehen wollte. Auch die Gegenwehr des Direktors der WTO, Mike Moore, lässt darauf schließen, dass RTMarks Fälschungen offizieller Internet-Seiten eine durchaus wirkungsvolle Form der Kritik ist. Da sich das Original und die Fälschung im Internet auf dem gleichen Terrain befinden, verfügt die Kopie anscheinend über eine ähnliche Autorität, die eigentlich dem Original zukommt.

Dass sich große Organisationen im Internet nicht auf ihre Autorität, auf die hierarchische Differenz etwa gegenüber unliebsamen Künstlern verlassen können, musste auch der Spielzeughändler eToys schmerzlich erfahren. Mit gemeinsamen Aktionen gelang es RTMark, etoy und den 1800 "Spielzeugsoldaten" im Toywar, sich gegen einen zunächst übermächtigen Gegner zu erwehren. Indem RTMark zu einem öffentlichen Internet-Spiel gegen eToys aufrief, indem auf etoys Exilseite "www.toywar.com" ein Forum für die Spielzeugsoldaten geschaffen wurde, kristallisierte sich deutlich heraus, dass das Internet immer noch eine Plattform zur breitesten Vernetzung von Menschen ist:

"Allen Unkenrufen zum Trotz steigert das Netz den Aktionsspielraum der Einzelnen sowie die Markeintrittschance von Ideen, fördert und erleichtert die Zusammenarbeit in virtuellen Gruppen und erlaubt in günstigsten Fällen die Selbstorganisation einer Gegen-Matrix, die ein hochorganisiertes Machtkartell an die Wand spielen kann."55

Den Sieg im Spielzeugkrieg haben RTMark und etoy nicht zuletzt davongetragen, indem sie sich der Stategien der Gegner bedient haben und diese zu "Spielen" umdeklariert haben. Die Überzeugungsarbeit in den Investorenforen des Internet spielten die Aktivisten ebenso souverän wie echte Investoren. Das Spiel, Mitarbeiter einer Konkurrenzfirma abzuwerben, wurde ebenso betrieben wie das Spiel, Kunden des Gegners zum Kauf bei der Konkurrenz anzuregen. Die eigenen "Mitarbeiter" im Toywar wurden dabei, wie auch in der Geschäftswelt üblich, mit Firmenanteilen entlohnt.56 In ihrem Schritt zu einer Aktiengesellschaft beteiligt die Firma etoy den Rezipienten, macht aus ihm einen Teilhaber und weist ihm mit seinem Stimmrecht eine aktive Rolle zu. Der Rezipient wird zum Produzent, erst recht, beteiligt er sich an Aktionen, wie etwa im Toywar, der dann wiederum den Aktienwert des Unternehmens steigerte. Die Anteilseigner bilden eine virtuelle Gemeinschaft, nicht mehr ist etoy eine Gruppe uniformer Künstler, sondern ein "Netz" heterogener Teilhaber.

Die Adaption von Konzepten der Geschäftswelt verbindet deutlich RTMark und etoy. Hierbei werden allerdings diese Modelle verwendet, um dialogische Fäden zu knüpfen:

"Die gegenwärtigen Revolutionäre, jene, welche dialogische Fäden quer durch die einschläfernden Diskurse spinnen wollen, lehnen es ab, an diesem allgemeinen Konsensus zum Glück hin teilzunehmen. Sie sind Störenfriede. Sie wollen das dämmernde Bewußtsein wecken, weil sie der Ansicht sind, daß das von den Bildern gespendete Regenwurmglück den Menschen entwürdigt. [...] Sie manipulieren die Bilder, damit den Leuten zu dämmern beginnt, daß sie sie zu Sprungbrettern in vorher unbekannte zwischenmenschliche Beziehungen umbiegen können. Daß sie sie für Dialoge, für Informationsaustausch und für die Erzeugung neuer Informationen verwenden können."57

Als "Störenfriede" aber könnte man RTMark und etoy mit einigem Recht bezeichnen. Nach dem Motto "disrupt the code" stören sie den Diskurs in den jeweiligen Subsystemen, sei es Wirtschaft, Kunst oder Politik, indem sie an den Schnittstellen operieren. Dabei setzen sich etoy zudem das Ziel, das hinter der Oberfläche liegende sichtbar zu machen. Dies geschieht jedoch in einer spielerischeren Art und Weise als bei Jodi, deren simulierte Computerabstürze eher bedrohlich wirken. Wenn Realitätskonzepte in den virtuellen Raum transportiert werden, wie im etoy.TANKSYSTEM, oder umgekehrt Datenpakete als Frachtcontainer in der Realität erscheinen, dann ist dies sicherlich dazu geeignet, starre Kategorien zu verwirren. Beim "Digital Hijack" hingegen machen sie auf die Dominanz großer Softwareproduzenten wie Netscape aufmerksam, ebenso weisen sie auf die zentrale Stellung der Suchmaschinen im Internet hin. Ihre Praktiken dienen dazu, den Internet-Nutzer zu verstören und nötigen ihn, sich mit der "nahtlosen Oberfläche" auseinanderzusetzen, sich dem Medium gegenüber kritisch zu verhalten.

'Anderprogramm'

Im ersten Kapitel dieser Arbeit ist versucht worden, die Entstehung des Internet als einen in wesentlichen Teilen offenen, kollaborativen Prozess zu beschreiben, in welchem die Nutzer des neuen Mediums aktiv an seinem Aufbau beteiligt gewesen waren. Die Tradition der "RFCs" und das Usenet zeigen dies deutlich. Zudem zog das Internet wichtige Impulse aus Ideen, in deren Zentrum gerade die Möglichkeit zum Dialog zwischen den Nutzern stand. Die Namen J.C.R. Licklider und Tim Berners-Lee stehen in diesem Zusammenhang. Im darauffolgenden Kapitel sollte gezeigt werden, dass sich gegenwärtig im Internet Strukturen herausbilden, die den dialogischen Qualitäten dieses Mediums entgegenstehen. Es sind dies zum einen der Umbau des Netzes von einem "Pull"- zu einem "Push"- Medium, womit das Sammeln und Vermarkten personenbezogener Daten in enger Verbindung steht. Zum anderen sollten die Ausführungen über Urheberrecht und die sich ausdehnende Kontrolle über dieses eine Tendenz aufzeigen, welche die Teilhabe des Individuums an der Kultur, überspitzt formuliert, nur noch im Konsumverhalten duldet. Dieser Faden wurde im abschließenden Kapitel dieser Arbeit anhand Adornos Thesen zur Kulturindustrie wieder aufgenommen, um hier im weiteren das Bild der "nahtlosen Oberfläche" herauszuarbeiten, zu welcher sich die Einzelmedien formieren, um dann wieder in den "Dienst der Sender" zu treten. Diese Oberflächenstruktur, die sich in einer prognostizierten Fusion von Fernsehen und Internet anbahnt, und in die kaum noch von den Menschen eingegriffen werden kann, gilt es aufzubrechen, um in dieser Fusion die dialogischen Qualitäten des Computernetzwerkes gegenüber seiner neuen Funktion als "Rundfunk" zu verteidigen:

"Die Programme von Künstlern, [...] sind aber auch der Versuch, sich den Computer wieder als ein Stück Kulturgut anzueignen, und seine Oberfläche und seine Festplatte nicht der Software von einigen wenigen US-Konzernen zu überlassen, deren Vormachtstellung weniger auf der Qualität ihrer Programme, sondern vor allem auf ihrer Marktmacht beruht. Diese Arbeiten erobern den Desktop des Computers zurück für kulturelle und künstlerischen Aktivitäten, die nicht von den Produkten eines bestimmten Großunternehmens abhängig sind."58

Dieses Zitat von Tilman Baumgärtel würde ich gerne in einen erweiterten Kontext stellen. Es soll nicht mehr um "Künstler" gehen, denn als solche bezeichnen sich Personen rund um RTMark ebenso wenig, wie die Entwickler freier Software. Auch soll es nicht nur um den Computer gehen, zunehmend gerät auch das Internet in die Gefahr, von einigen wenigen Konzernen dominiert zu werden. In dieser Hinsicht würden die in dieser Arbeit vorgestellten Gruppen, bei aller Heterogenität der Absichten und der Praktiken, nämlich das eine Ziel verfolgen: den Computer und das Internet für kulturelle Aktivitäten zurückzugewinnen oder zu erhalten.

Hierbei kommt der grafischen Benutzeroberfläche, den nahtlos ineinander greifenenden Einzelmedien unter dem Primat der vollendeten Benutzerfreundlichkeit eine durchaus dialektische Rolle zu. Hinter dem Ziel, dem Nutzer den Zugang zum Netz, die Bedienung der Werkzeuge für das Netz und die Informationsbeschaffung aus dem Netz denkbar einfach zu machen, steht die Bedrohung des "integrierten Konsumenten", welcher dann eben nur noch Konsument, nicht aber Produzent sein darf. Sicherlich bedeutet Konsumieren nicht, passiv sich zu verhalten, das Stichwort des "produktiven Zuschauers" spricht es aus. Dem Fernsehen gegenüber aber hat das Internet voraus, dass hier die Produktion des Zuschauers sich letztendlich auch für andere konkretisieren kann. Statt der "Eigenprogramme" beim Browsen im Internet also "Anderprogramme", wie es Flusser fordert: "Daher wird, wenn einmal die telematische Gesellschaft tatsächlich da ist, nicht mehr von 'Eigenprogramm' zu sprechen sein, sondern von 'Anderprogramm'."59

Das "Verknüpfen" von Informationen geschieht beim produktiven TV-Zuschauer in einem zutiefst privaten Rahmen, in seinem Kopf, beim Internet Nutzer in seiner "Lesezeichen"-Sammlung im Browser, oder aber auf seiner heimischen Festplatte. Käme er nun auf die Idee, die nur ihm zugänglichen neuen Informationen in den öffentlichen Raum stellen zu wollen, Fernsehsendungen oder Multimediadateien etwa zu kopieren und Teile davon in neue Kontexte einzufügen, sähe er sich vermutlich recht schnell mit den Rechteinhabern an den Informationen im Konflikt. Sorgsam muss darauf geachtet werden, nicht das geistige Eigentum anderer zu verwenden. Kommerzielle Anbieter haben eben kein Interesse, Informationen anderen zur freien Verfügung zu stellen, damit der Empfänger diese zu neuen Informationen synthetisiert. Damit möglichst viel Geld verdient werden kann, gilt es eben, Information lückenlos in Privateigentum umzuwandeln und das Internet dient dann nur noch der Distribution und der Kontrolle über die Einhaltung des Urheberrechtes. Um nicht "programmierbar"60 zu werden, oder zu einem "Objekt der Kulturindustrie",61 bleibt dann nur das "Eigenprogramm": "Wir sollten uns wenigstens frei dafür entscheiden, dass wir ein Disney-Netz haben wollen."62 Diese Entscheidung wird dem Konsumenten aber ein Stück weit von der Eigendynamik der Industrie abgenommen.



Vor: Literaturverzeichnis Hoch: Inhaltsverzeichnis Zurück: Toywar