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Unterabschnitte

Die Gegenwart des Internet

"From these connections we will derive robust and sustainable economic progress, strong democracies, better solutions to global and environmental challenges, improved health care, and ultimately a greater sense of shared stewardship of our small planet."1
"Das Internet zieht Geld an wie ein Magnet."2

Der Wunsch des Erfinders des World Wide Web, dass die Suche nach Informationen im Internet nahtlos mit dem Bereitstellen von Informationen einher gehen solle und dass sich die Internetbenutzer aktiv am Aufbau der Struktur des Webs beteiligen, scheint sich zunächst zu erfüllen. So gibt es eine Vielzahl an privaten Homepages, die Kosten hierfür sind durchaus erschwinglich geworden, und es existieren ein Fülle an Diskussionsforen. Das Versenden und Empfangen elektronischer Nachrichten macht geradezu einen Hauptteil der computervermittelten Kommunikation aus. Online-Zeitschriften wie etwa "Telepolis"3 bieten durchgängig die Möglichkeit, Artikel zu kommentieren; und es entstehen oftmals lange Debatten, mitunter mehr über diese Kommentare als über die Artikel selbst.

Nun wäre es sicherlich äußerst interessant zu erfahren, wie groß der Anteil der Benutzer ist, die das neue Medium Internet aktiv, oder besser kreativ benutzen, sei es, um mit anderen Personen zu diskutieren, sei es, um eigene Inhalte bereitzustellen, sei es, um sich politisch zu engagieren. Leider führen Recherchen in dieser Richtung meist ins Leere; finden lassen sich hauptsächlich Zahlen zum E-Commerce Verhalten.4 Diese Daten werden dann, marktgerecht aufbereitet, kommerziellen Anbietern übermittelt. Akribisch wird aufgelistet, wieviele Internetbenutzer wann und wo eine CD oder ein Buch bei einem Online-Händler bestellt haben und wie oft eine bestimmte kommerzielle Seite mit welchem Browser aufgerufen worden ist. Ansonsten finden sich lediglich die obligatorischen demoskopischen Ergebnisse darüber, welchem Geschlecht, welcher Sozial- und Altersstruktur der Nutzer angehört.5 Kaum ein Wort darüber, was diese denn nun am Internet fasziniert, wie sie ihre Online-Zeit verbringen, ob ihre Aktivitäten eher kommerzieller oder aber nicht-kommerzieller Art sind. So wird zwar oft beschworen, dass das Internet unser Leben verändert, über das "wie" scheint jedoch niemand gesicherte Erkenntnisse zu verfügen.6

Es ist sicherlich nicht sehr erstaunlich, dass ein Großteil der empirischen Forschung im Dienste der Wirtschaft durchgeführt wird. Ein etwaiger Investor eines Online-Unternehmens hat notwendigerweise ein Interesse an der potentiellen Profitabilität eines solchen Unternehmens. Allerdings scheint sich auch die Medienberichterstattung hauptsächlich für die "Global-Player" in der neuen Ökonomie zu interessieren. Breitesten Raum nehmen Berichte darüber ein, dass der Online-Dienstanbieter AOL den Softwareproduzenten Microsoft verklagt, oder dass Microsoft versucht, den Browserhersteller Netscape vom Markt zu verdrängen. Ohne Frage ist diese Art von Journalismus eminent wichtig, in den Hintergrund tritt dabei allerdings, was das Web sein könnte, aber auch, was es ist, nämlich äußerst vielgestaltig. Vor allem der Aspekt der globalen Märkte, des grenzenlosen elektronischen Kommerz nimmt immer schärfere Konturen an. Bedingt wird dies nicht zuletzt dadurch, dass recht schnell die Verantwortung für die auf dem Computer als Medium basierende Informationsinfrastruktur von der öffentlichen Hand an Private übergeben wurde: "Noch nie hat man sich so nachdrücklich und so einhellig auf die allumfassenden Mechanismen des Marktes berufen. [...] Damit wird der öffentliche Versorgungsauftrag, der einst für die nationalen Kommunikationssysteme galt, völlig auf den Kopf gestellt."7 Die privaten Investoren sind inzwischen anerkanntermaßen und unhinterfragt die treibende Kraft hinter den Entwicklungen der globalen Vernetzung.

Internet - Medium der Informationsgesellschaft

Seit den ersten Ideen für ein Computernetzwerk Mitte der 60er Jahre waren privatwirtschaftliche Unternehmen an der Entwicklung beteiligt, jedoch wurden erst 1994 sämtliche Restriktionen in Hinsicht auf kommerzielle Angebote im Internet aufgehoben. Diese Restriktionen für kommerzielle Nutzung wurden zu einer Zeit etabliert, als das Internet nicht mehr von der ARPA weiterentwickelt wurde, sondern, seit 1986, der Kontrolle durch die "National Science Foundation" (NSF) unterstand:

"Der Umgang der Netzgemeinde war damals relativ leicht zu regeln, hatten doch alle letztlich das gemeinsame Ziel, Informationen und Wissen relativ schnell und problemlos zu verbreiten und einander 'mitzu'-teilen sowie Computerressourcen gemeinschaftlich zu nutzen. [...] Da bislang immer noch Regierungsgelder den allergrößten Teil der Finanzierung des Netzes leisteten, wurden Teile dieser Umgangsregeln in den Acceptable Use Practises (AUP) der NSF festgeschrieben, die auch ausdrücklich klarstellten, daß das Netz nicht für kommerzielle Zwecke genutzt werden darf."8

Nach der Öffnung des Netzes für kommerzielle Nutzung machte sich umgehend eine Goldgräberstimmung breit, und es wurden enorme Profite im Medium der heraufziehenden Informationsgesellschaft durch die Vermarktung von Information prognostiziert. Parallel zur Euphorie auf unternehmerischer Seite entspann sich im neoliberalen Internet-Magazin "Wired"9 eine Debatte um die Zukunft der Wirtschaft in der Informationsgesellschaft. Der Begriff der New Economy wurde hier grundlegend geprägt. Diese neue Ökonomie soll nach der Agrarrevolution und der Industrierevolution das bahnbrechendste Ereignis in der Menschheitsentwicklung sein:

"When we talk about the new economy, we're talking about a world in which people work with their brains instead of hands. A world in which communications technology creates global competition [...]. A world in which innovation is more important than mass production. A world in which investment buys new concepts or the means to create them, rather than new machines. A world, in which rapid change is constant. A world at least as different from what came before it as the industrial age was from its agricultural predecessor. A world so different its emergence can only be described as a revolution."10

Einhergehend mit dem Propagieren der Revolution werden von dem Magazin "Wired" auch gleich die Regeln mitgeliefert, die es den Firmen ermöglichen sollen, in dieser vollkommen neuen Form der Ökonomie zu bestehen und größtmöglichen Profit daraus zu schlagen. Dreh- und Angelpunkt der "New Rules for the New Economy" des Autoren Kevin Kelly ist immer wieder das Konzept der globalen Netzwerke.11 Seiner Ansicht nach werden in Zukunft alle Objekte weltweit, mit Mikrochips versehen, untereinander vernetzt sein. Je höher der Grad der Vernetzung sein wird, desto höher wird der Wert des Netzwerkes steigen. Hierbei soll sich der Erfolg mit exponentieller Wachstumsgeschwindigkeit einstellen, das heißt, dass sich nach einem langsamen Aufbau ein Explosionserfolg ergibt. Um möglichst viele potentielle Kunden an sich zu binden, wird es notwendig sein, eigene Standards zu setzten. Um diese zu verbreiten müssen die Produkte zunächst mehr oder weniger kostenlos verteilt werden, um dann, wenn eine kritische Masse erreicht ist, mit weiteren Produkten, die dann auf den nunmehr etablierten Standards beruhen, letztendlich Profit zu erzielen. Eine Schlüsselrolle kommt hierbei der Kundenbindung zu. Mit Hilfe von treuen Netz-Communities sollen Kunden auf den einmal gewählten Anbieter mit den von ihm gesetzten Standard eingeschworen werden. Es liegt hierbei selbstverständlich in der Natur eines profitorientierten Unternehmens, dass es versucht, möglichst großes Kapital aus eigenen Innovationen zu schlagen. Jedoch liegt das Problem bei der Durchsetzung eigener, proprietärer Hard- oder Softwarestandards darin, dass hiermit weitestgehend jedwede Konkurrenz aus dem Felde geschlagen werden kann.12

Das Internet beruhte im Prinzip von Anbeginn auf der öffentlichen Verfügbarkeit der das Internet bedingenden Standards, welche gewiss nicht zuletzt die Pluralität des Angebotes in diesem neuen Medium ermöglichte, und es zog wesentliche Entwicklungsimpulse aus der freien, kooperativen Arbeit seiner Nutzer: "Die freie Softwaregemeinde war für die Entwicklung des Webs fundamental und ist eine Quelle der Kreativität."13 Die Überantwortung der Weiterentwicklung des globalen Computernetzwerkes alleinig an kommerzielle, in einem deregulierten Wettbewerb stehende Firmen könnte das im Internet steckende Potential als Kooperationsmedium, wie es etwa von J.C.R. Licklider oder Tim Berners-Lee beschworen wird, sehr wohl beschneiden.

Kommt nun der Information in der New Economy höchste Priorität vor der Produktion materieller Güter14 zu, stellt sich selbstverständlich das Problem, wie Information in monetären Profit umgewandelt werden kann. Hierbei soll der Computer als Medium, und mit ihm das Internet bevorzugter Vertriebsweg werden. Dies könnte wenigstens zum Teil die vielfältigen Initiativen von Wirtschaft und Regierungen weltweit erklären, denen viel daran gelegen ist, möglichst allen Bevölkerungsschichten Zugang zum Internet zu ermöglichen.15 Bei aller Rhetorik über die "Informationsgesellschaft" bleibt nämlich meist ungeklärt, welche Informationen im Internet gewonnen werden können, die die herkömmlichen Medien nicht schon längst bereitstellen. Keinesfalls soll hier behauptet werden, dass das Internet bloß die Fortführung alter Medien in neuem Gewande ist. Wie in dieser Arbeit gezeigt werden soll, bietet das neue Massenmedium Modelle kooperativer Vernetzung, und mittels breitester Verfügbarkeit von Zugängen zum Internet besteht wie in keinem anderen Massenmedium die Möglichkeit des ungefilterten Informationsaustauschs. Ein Musiker oder ein Autor ist nicht mehr notwendig auf einen Verleger angewiesen,16 ebensowenig wie eine Künstlerin nicht mehr auf die Vermittlung durch Galerien beschränkt ist. Nichtkommerzielle Anbieter visueller und auditiver Medien sind nicht mehr auf die Vergabe terrestrischer Funkfrequenzen angewiesen, das Internet ermöglicht inzwischen die Verbreitung von Radio- und Fernsehsendungen im Streaming-Verfahren.17

Da bei allen Initiativen von Wirtschaft und Regierung allerdings diese Möglichkeit der direkten und ungefilterten Beteiligung am Internet gerne unterschlagen wird, drängt sich der Verdacht auf, dass solche Initiativen primär der Heranführung aller Bevölkerungsschichten an diese neue Distributionsform von im Prinzip oftmals altbekannten kommerziellen Angeboten dienen soll.

Nun ist das Internet von der Informationsindustrie als Chance erkannt worden, ihre Produkte noch effektiver zu vermarkten, als dies bisher bereits der Fall war. Für die Kommerzialisierung von Information wartet das Internet aufgrund seiner Struktur mit verschiedenen Restriktionen auf, die es für die Unternehmen zu überwinden gilt. Einerseits bietet der Computer die Möglichkeit zur verlustfreien Reproduktion digitaler Inhalte, so dass sich die Problematik des Urheberschutzes deutlich verschärft. Andererseits lassen sich Kunden aufgrund der anonymen Struktur des Internet nicht ohne weiteres erfassen. Nutzerströme können nicht kontrolliert und die Produkte so nicht effektiv vermarktet werden. Beide Gesichtspunkte sollen in eigenen Unterkapiteln noch vertieft werden.

Von "Pull" zu "Push"

Zu Beginn des Jahres 1997 schien sich eine Art "Paradigmenwechsel" im Internet anzubahnen. Das bisherige Web bestand hauptsächlich aus ungeordneten Inhalten sowohl privater als auch kommerzieller Anbieter. Da im Netz zunächst keine Hierarchien existieren, stehen diese Angebote gleichberechtigt nebeneiander. Sucht ein Nutzer nach bestimmten Informationen, ist er in der Regel auf die Dienste einer Suchmaschine angewiesen, welche ihrerseits die Resultate der Suche nach dem Grad der Übereinstimmung mit dem eingegebenen Suchwort strukturiert. Zunächst findet also keine Bevorzugung kommerzieller Inhalte statt.18 Der Benutzer wählt nach einer Art "Pull"-Prinzip aus, das heißt, dass er wesentlich darüber entscheidet, welche Informationen ihn erreichen und welche nicht. Dass sich ein Anbieter digitaler Inhalte nicht damit zufrieden geben kann, wenn seine Web-Seite fast schon zufällig von dem durch die Masse angebotener Inhalte schier "überforderten" Internetnutzer aufgerufen wird, liegt da fast schon auf der Hand. Um dem zu entkommen, treten nun Informationsangebote auf, die versuchen die Richtung der Auswahl umzukehren. Das heißt, dass dem Nutzer die von ihm benötigten Informationen ohne sein Zutun gleich an den heimischen Computer geliefert werden. Bezeichnet wird dies als "Push": dem Computernutzer wird eine passive Rolle zugewiesen, ähnlich der des Fernsehzuschauers. Aus einer unüberschaubaren Fülle von Informationen wird für den Abonnementen des Informationsdienstes das je Passende herausgesucht, und dem Nutzer so die "Qual der Wahl" abgenommen: "The distinguishing characteristic of the new push media is that it finds you, rather than you finding it."19 Seinerzeit strikt abgelehnt durch kritische Netzbenutzer und Journalisten20 erscheint aber ein Angebot, dass das Auffinden von Informationen im Internet vereinfacht, als durchaus sinnvoll. Erst recht, wenn der Nutzer aus einer Vielzahl an aufbereiteten Informationskanälen auswählen kann. Insofern ist die Unterscheidung zwischen "Pull" und "Push" eigentlich obsolet, denn, ebenso wie im Fernsehen, wählt sich der Nutzer das Passende aus unterschiedlichen Angeboten aus.21

Entscheidend verändert sich allerdings die Lage dort, wo den Anbietern auch dies nicht mehr ausreicht. Ist der Informationsdienst erst einmal einer unter vielen "Kanälen", so sind die Anbieter letztlich doch wieder der Willkür des Benutzers ausgeliefert. So existieren schon seit längerer Zeit technische Hilfsmittel, um den Internetbenutzer auch gegen seinen Willen in seinen Vorlieben und Interessen zu erfassen, um ihm dann unaufgefordert Informationsmaterial zuzusenden.22 Schon altbekannt sind die sogenannten "Cookies". Hierbei wird eine Codezeile in einer extra für diesen Zweck erstellten Datei auf der Festplatte des Benutzers gespeichert. So kann bei Bedarf eindeutig festgestellt werden, welche Webseiten bereits vom jeweiligen Internetbenutzer besucht worden sind und bei einem erneuten Besuch einer Seite kann der Nutzer eindeutig wiedererkannt werden. Auf diese Art und Weise können relativ konkrete Benutzerprofile erstellt werden. Obschon die Akzeptanz von Cookies standardmäßig bei den gängigen Browsern voreingestellt ist, gibt es doch die Möglichkeit diese zu deaktivieren, freilich um den Preis, dass man die eine oder andere Webseite nicht mehr betreten darf. Da allerdings das Einrichten eines Cookies vollkommen unbemerkt vonstatten geht, werden wahrscheinlich die wenigsten Benutzer überhaupt um deren Existenz wissen. Nicht mehr zu deaktivieren sind hingegen die in jüngster Zeit auftretenden "Web-Bugs", welche vornehmlich innerhalb von Bannerwerbung auf Internet-Seiten platziert werden. Diese spionieren nach Möglichkeit den mit dem World-Wide-Web verbundenen Computer gänzlich ohne Wissen des Nutzers aus:

"Web Bugs sind winzige GIFs mit einer Größe von normalerweise 1x1 Pixel, die auch in anderen Grafiken versteckt werden können. Nur wer sich den Source Code einer Webseite ansieht, kann die Web Bugs als IMG-Tags erkennen. Wegen dieser Eigenschaft [...] werden sie auch eingesetzt, weil so die Benutzer nicht bemerken, dass sie beobachtet werden. Ein Web Bug sendet die IP-Adresse, die URL der besuchten Seite, die URL des Web Bug GIFs, den Zeitpunkt, an dem der Web Bug angeschaut wurde, den Browsertyp sowie die Informationen eines zuvor gesetzten Cookies an einen Server. Von Interesse sind Web Bugs weil sie zusätzliche Informationen zu denjenigen übermitteln, die mit einem Cookie erfasst werden."23

Weiter hat sich in den letzten Jahren mit den großen Web-Portalen ein Angebot herausgebildet, das zunächst mit vielerlei Informationen aufwartet.24 Im Hintergrund steht dabei allerdings im Wesentlichen die Absicht, möglichst viele personenbezogene Daten über die Besucher zu sammeln: "It's the old trick all over: if you cannot sell to the audience, sell the audience."25 Der ehemals marktführende Hersteller von Web-Browsern "Netscape" macht auch keinen Hehl aus dieser Strategie:

"Smart Browsing wird viele zusätzliche Hits im Netcenter generieren und es wird sich in den dahinterstehenden Datenbanken ein enormes Wissen über registrierte Unternehmen und Nutzerverhalten ansammeln. Netscape hat bei der Ankündigung seiner Portal-Strategie klargemacht, mit diesem kommerziell verwertbaren Hintergrundwissen ein Zusatzgeschäft machen zu wollen, etwa indem gezielte Abfragen an Marketing-Agenturen verkauft werden."26

Nun kann man durchaus versuchen, solchen Lockangeboten aus dem Weg zu gehen, will man nicht zentral erfasst werden. Unvermeidlich jedoch ist der Internet-Service-Provider (ISP), welcher eigentlich nur die Aufgabe hat, dem Nutzer eine Zugangsmöglichkeit zum Internet bereitzustellen. Doch auch für diese bilden die Daten über ihre Nutzer, neben den ohnehin verlangten Online-Gebühren, offensichtlich eine lukrative Einnahmequelle:

"Einen Vorgeschmack auf das 'Internet der Zukunft' gibt [...] AOL. Der Online-Dienst, der bereits die Hälfte aller Internetnutzer online bringe, zeichne jeden Platz auf, den ein Abonnent besucht, bemerke, wer wann wo an wen eine Email sende, überwache die Kommunikation in 'privaten' Chat-Rooms, und führe Buch darüber, was jemand wo einkaufe."27

Ist man ersteinmal in all seinen Vorlieben und Interessen erfasst, so wird man sich in der Informationsgesellschaft der Information kaum noch erwehren können und es dann auch noch als Utopie propagiert wird, wenn:

"... die Technologie dir in das Taxi folgt, das du gerade genommen hast, dich sanft dazu anregt, das lokale Aquarium aufzusuchen, während sie zugleich nicht versäumt, dich über das Zwischenergebnis des gerade laufenden Spiels deiner Lieblings-Basketball-Mannschaft zu informieren. Im selben Moment meldet sich möglicherweise eine andere Apparatur an deinem Handgelenk, welche dir sagt, daß die Route zu deinem Zielort von Staus verstopft ist und dir zugleich ein Sushi-Restaurant vorschlägt, das gerade Sonderangebote hat und in dem du die Stauzeit überbrücken kannst. Auf deinem Computer zuhause laufen zur gleichen Zeit verführerische Screensaver-Programme, neben den üblichen Nachrichtenprogrammen, unterbrochen nur von den Pressemeldungen der Firmen von denen du Aktienanteile besitzt. Das alles natürlich gemischt mit häufigen Werbebotschaften."28

Ein wichtiger Aspekt des Internet war von jeher seine Anonymität, an die sich nicht zuletzt auch verschiedene Hoffnungen knüpften. So spielen im World Wide Web ethnische, religiöse und soziale Merkmale von sich aus keine Rolle. Selbst das virtuelle Wechseln des Geschlechts ist problemlos möglich, weil der Nutzer wesentlich darüber bestimmt, was er oder sie über sich preisgibt. Das Maß an Freiheit, welche das Internet bisher vorgeblich oder reell auszeichnete, kann aber bei weitem nicht mehr gewährleistet bleiben, können die Nutzer erst einmal durch Dritte eindeutig identifiziert werden. Erst recht, gibt man Informationen über sich nicht freiwillig und werden diese zudem noch zentral gesammelt. Die Bestrebungen verschiedenster Regierungen, seine Bürger nahtlos zu überwachen,29 wird von den Konzernen im Internet aufgegriffen und ist doch nur "Notwendigkeit für den E-Commerce."30

Urheberschutz im Zeitalter der digitalen Reproduzierbarkeit

"Für diese neuen Nutzer gibt es nur eine Information, die frei und möglichst weit zirkulieren soll, und das ist Werbung. Alle andere Information ist für sie Ware."31

Die Rhetorik von der "New Economy" im Informationszeitalter, in welchem Wertschöpfung wesentlich auf der erfolgreichen Vermarktung von Information beruht, hat einen folgenschweren Nebeneffekt. Um nämlich Profit aus Information zu schlagen, ist es notwendig, Information möglichst lückenlos in Eigentum umzuwandeln. Im Zeitalter der verlustfreien Reproduktion digitaler Inhalte jedoch ist der Schutz dieses Eigentums in eine prekäre Lage geraten. So wird der Ruf nach einer schärferen Überwachung der Urheberschutzbestimmungen auf internationaler Ebene immer vernehmlicher, dies obwohl die Apologeten der New Economy andererseits seit Jahren für weitestgehende Deregulation eintreten. Die Märkte sollen frei von staatlichem Einfluss sich selbst regulieren und so Wohlstand für eine möglichst breite Bevölkerungsmasse schaffen:

"According to the Californian ideology, national governments are incapable of controlling the global system of computer-mediated communications. Instead, individuals and businesses will compete to provide goods and services within unregulated on-line marketplaces."32

Da das Internet, oder allgemeiner das Computerzeitalter, seine eigenen Formen nicht-legalen Verhaltens hervorbringt, soll sowohl staatliche Legislative als auch Exekutive den freien Handel garantieren, indem sie über die Einhaltung von Eigentumsrechten wachen. Das unbefugte Kopieren geschützten geistigen Eigentums ist zwar ganz und gar kein neues Problem, allerdings war bisher die Kopie analoger Datenträger wie Langspielplatte, fotografischem Bild, Video- oder Tonband in aller Regel mit einem merklichen Qualitätsverlust verbunden. Zudem wird auf jeden unbespielten Datenträger eine pauschale Gebühr aufgeschlagen, welche den Verlust durch unbefugte Kopien wenigstens zum Teil wieder ausgleicht. Gleiches gilt selbstverständlich auch für die in letzter Zeit stark verbreiteten beschreibbaren Compact Discs, doch scheinen hier die Einnahmeeinbußen durch diese Pauschalabgabe nicht mehr gedeckt zu werden. Dies liegt einerseits daran, dass selbsterstellte CDs sich nicht vom Original unterscheiden und andererseits, dass, spätestens seit der Entwicklung des MP3-Datenformats, Musikdateien sich relativ problemlos im Internet verteilen lassen. Hierdurch erweitert sich der Kreis, innerhalb dessen ein Musikstück verteilt werden kann, vom näheren Bekanntenkreis auf potentiell mehrere Millionen Internet-Benutzer weltweit. Neben der Möglichkeit, im Internet selbst Anbieter von Inhalten zu werden, selber Produzent zu werden, ist der freie Austausch von Informationen, eben auch von urhebergeschützten Informationen sehr verbreitet. Das sogenannte "File-Sharing", besser bekannt als "Raubkopieren" ist ganz klar eine Form des nicht-legalen Verhaltens, welches zwar nicht erst mit dem Computer entstanden ist, jedoch an Relevanz deutlich zugenommen hat.33

Nun versuchen die Medienkonzerne zunächst selbst, ihr Eigentum durch eine Vielzahl an Kopierschutzmethoden unter Kontrolle zu behalten. Diese sind allerdings, sofern sie softwareseitig implementiert werden, in Codezeilen niedergelegt, und prinzipiell kann alles, was kodiert ist, auch wieder dekodiert werden.34 So scheint es fast schon ein ungeschriebenes Gesetz zu sein, dass alle Bemühungen der Copyrightindustrie zum Scheitern verurteilt sind. Ein aktuelles Beispiel hierfür ist etwa der Kopierschutz für das Speichermedium DVD. Das mit erheblichen finanziellen Aufwand entwickelte Verschlüsselungssystem CSS für Video-DVDs wurde von einem 15-Jährigen norwegischen Gymnasiasten innerhalb kürzester Zeit geknackt: "Ich hab wirklich nicht geglaubt, dass jemand in meinem Alter einfach den Kopierschutz bei DVD-Filmen außer Kraft setzen kann. Das zeigt doch, wie schlecht er sein muss."35 Doch damit nicht genug, veröffentlichte dieser auch noch sein Wissen im Internet. Das Programm zum Entschlüsseln des CSS-Codes unter dem Namen DeCSS verbreitete sich rasch und fand sich auf einer Vielzahl von Webseiten wieder. Hiergegen wurde von der "Motion Picture Association of America" (MPAA) geklagt, und der mit dem Fall beauftragte amerikanische Richter erließ umgehend eine einstweilige Verfügung, welche die Verbreitung von DeCSS untersagt. Begründet wurde dies damit, dass die Kläger legitimes Recht darauf haben, technisch zu kontrollieren, "ob ein Endverbraucher nichtautorisierte Kopien der urheberrechtlich geschützten Werke oder Teile von ihnen reproduzieren, herstellen, anpassen, öffentlich zur Aufführung bringen und/oder vertreiben kann."36 Kommentiert wurde diese Entscheidung von dem Direktor der MPAA Jack Valentin "als großen Sieg für alle kreativen Künstler und Verbraucher auf der ganzen Welt".37 Sicherlich ist es sinnvoll und auch notwendig, die Produzenten kultureller Produkte für ihre Arbeit zu entlohnen, aber ebenso sicher kann wohl kaum von einem Sieg für die Kreativität, für den kreativen Umgang mit Kulturprodukten gesprochen werden, wenn selbst das, auch nur auszugsweise Kopieren und "Anpassen" von Werken vollständig kontrolliert werden kann. Die "Fair-Use Regelung",38 welche den Umgang mit Informationen regelt, wird hierbei zuungunsten des Konsumenten außer Kraft gesetzt, denn es wird hier deutlich nicht mehr zwischen einer kommerziellen und einer nicht-kommerziellen Verwendung unterschieden:

"Opfer dieser Entwicklung ist langfristig das kulturelle Klima in den Gesellschaften, deren Kreativität und Innovation versiegen könnte, wenn gerade mit einer Technik, die erstmals eine leichte und weltweite Zugänglichkeit von Informationen erlaubt, eben diese weit mehr beschränkt wird, als dies jemals zuvor der Fall war. Sollte auch das Recht der Menschen auf das Kopieren legal erworbener Inhalte durch technische Maßnahmen und die begleitenden Rechtsvorschriften indirekt ausgehebelt werden, so wären die Gesetzgeber endlich aufgefordert, auch die Rechte der Käufer stärker zu machen."39

Im Rechtsstreit um das Entschlüsselungsprogramm DeCSS tritt jedoch eine weitere Komponente hinzu. Sämtliche mit CSS kodierten DVDs lassen sich unter den Computerbetriebssystemen Macintosh und Microsoft Windows entschlüsseln. Möchte hingegen ein Linux-Benutzer ein DVD-Video abspielen, so hat er keine Möglichkeit dazu. In diesem Licht besehen ist dann die Begründung, dass CSS das illegale Kopieren geschützter Inhalte unterbinden soll, nichts weiter als ein Vorwand. Eine "eins zu eins" Kopie eines verschlüsselten Werkes ist auch ohne Entschlüsselung möglich. Offensichtlich soll dass Abspielen eines DVD-Videos auf Systemen verhindert werden, welche nicht die Lizenzgebühren für den Code bezahlt haben. Es geht also nicht zuletzt um die Kontrolle darüber, welcher Hersteller DVD-Player anbieten kann und welcher nicht.40 Gerade dies macht nur noch um so mehr deutlich, dass es nicht um Kreativität, sondern um viel Geld geht.

Alles in allem scheint die aktuelle Rechtslage weitgehend unklar zu sein. Was jedoch deutlich wird, ist, dass die Copyrightindustrie noch bis ins Kleinste versucht, Kontrolle über ihre Produkte zu behalten. Da hierbei augenscheinlich jedwede Form von Kopierschutzvorrichtungen ins Leere laufen, kann die Kontrolle über ein Produkt nur über eine lückenlose Kontrolle des Internets, und damit die Kontrolle über den Benutzer erlangt werden:

"Since intellectual property can't be protected within the existing Net, media corporations want to impose a top-down form of computer-mediated communications in it's place: the digital panoptican. If everyone's on-line activities could be continually monitored, nobody would dare to defy the copyright laws."41

So lassen sich im Internet zwei Richtungen beobachten. Einerseits soll der Zugang zum Internet bereits den Schülern der Grundschule ermöglicht werden, Information und der Umgang mit dieser wird als Grundvoraussetzung zur Teilnahme an der modernen Gesellschaft propagiert. Möglichst alle Bevölkerungsschichten sollen in das globale Netzwerk eingesponnen werden. Der Zugang zum World-Wide-Web soll frei, der Zugang zu den beinhalteten Informationen soll allerdings in jeder Hinsicht gebührenpflichtig gemacht werden. Dem Internet soll dabei eine Schlüsselrolle zukommen, nicht nur, indem sich die Kulturprodukte hier noch effizienter vermarkten lassen, sondern auch dadurch, dass im Internet auch die Kontrolle über dessen Verwertung immer weiter ausgedehnt werden kann. So durchsucht der Mediengigant Fox das Internet regelmäßig, ob nicht auf einer Fan-Homepage unerlaubterweise das Logo der eigenen Fernsehserie "The X-Files" verwendet wird42 und die Warner Bros. Filmstudios untersagen sämtliche Harry Potter Fansites, da diese das Urheberrecht verletzten würden.43

Mit Hilfe von versteckten Codezeilen, den digitalen "Wasserzeichen",44 sollen Urheberrechtsverletzungen bei Grafikdateien verfolgt werden, das gleiche gilt auch für Microsoft-Office Dokumente, der Urheber eines digitalen Textes bleibt zurückverfolgbar.45 Ist ein Rechner an das Internet angeschlossen, kann sogar die Verwendung eines Textes kontrolliert werden.46 Im Informationszeitalter scheint dann eben doch dem Schutz des geistigen Eigentums zum Zwecke seiner kommerziellen Verwertbarkeit eine weitaus wichtigerer Rolle zuzukommen, als seiner freien Verfügbarkeit:

"Preparing for this new era, media companies are expanding their legal control over intellectual property as far and as wide as possible, strip mining our culture in the process. They have made inventive uses of trademark law to secure exclusive rights to everything from Spock's pointy ears to Superman's cape, pushed policies that erode the remaining protections for fair use, and lobbied for an expansion of the duration of their copyright protection and thus prevented works from falling into the public domain until they've drained of value. In the end, we all suffer a diminished right to quote and critique core cultural materials. Imagine what our holiday season would look like if Clement Moore had trademarked Santa Claus!"47

Wenn man davon ausgeht, dass unsere Kultur immer auch von den zeitgenössischen kulturellen Produkten mitgeprägt wird, diese sich aber konsequent in privatem Eigentum befinden, dann steht dahinter deutlich die Gefahr, dass Teilhabe die an der Kultur in immer höherem Maße von den persönlichen finanziellen Ressourcen abhängig wird. Im ersten Anhang der US-amerikanischen Verfassung wird dem Recht auf freie Meinungsäußerung ein außerordentlich hoher Stellenwert beigemessen. Es soll und darf keine politische Zensur stattfinden. Wenn allerdings privatwirtschaftliche Unternehmen mit Hilfe des Urheberrechtes weite Teile der geistigen Vielfalt kontrollieren, dann wird ein Zustand erreicht, in welchem politische Zensur durch ökonomische Zensur einfach ersetzt werden kann.

Wird die Benutzung unserer Kultur gebührenpflichtig, dann besteht die Gefahr, dass sich die Beziehungen zwischen den Menschen immer deutlicher am Tauschwert orientieren:

"Die Machtkonzentration in Netzwerken ist durch die Möglichkeit, Ideen zu kontrollieren, weitaus größer, als sie in der Marktwirtschaft jemals war. Aber es gibt auch eine kulturelle und soziale Dimension: Wenn sie eines Tages aufwachen und praktisch jede Beziehung außerhalb der Familie eine bezahlte Erfahrung ist. Das ist für viele eine böse Utopie. Die Frage ist: Kann die Zivilisation überleben, wenn unsere gesamte Zeit langsam, aber sicher kommerzialisiert wird?"48

War es noch in der Mitte des vorigen Jahrhunderts ein dem Subjekt eher unbewusster Prozess, welcher im Amüsierbetrieb Kulturindustrie das Subjekt entmündigt, und konnte man dem noch mitunter entgehen, wenn man die angebotenen Produkte in seinem eigenen Sinne gebrauchte, so wollen die Medienkonzerne heute nach Möglichkeit durch und durch Kontrolle über den Verbraucher und über die Verwendung der Kulturprodukte ausüben. Zwar bieten sich dem verwalteten Subjekt etwa in der Fankultur49, in der für den Massengeschmack verfertigte Kulturprodukte den eigenen Bedürfnissen entsprechend angepasst werden, durchaus noch Residuen für eigene Kreativität, in welcher sich das Subjekt als solches erfahren kann. Dehnt sich die Kontrolle der Kulturindustrie jedoch auch dorthin aus, wird kontrolliert, überwacht, soll unliebsamer Gebrauch "geistigen Eigentums" mit hohen Strafandrohnungen verhindert werden und bleibt einzig legal, was den Produkten zu noch größerer Popularität verhelfen soll, dann schwindet hier eine weitere Möglichkeit zu opponieren.

Im Vorwort zur Minima Moralia stellte Adorno vor über 50 Jahren fest: "Was einmal den Philosophen Leben hieß, ist zur Sphäre des Privaten und dann bloß noch des Konsums geworden, die als Anhang des materiellen Produktionsprozesses, ohne Autonomie und ohne eigene Substanz, mitgeschleift wird."50 Galt dieser Befund Adornos bereits für Strukturen, welche sich in der Marktwirtschaft ergaben, so soll, laut Rifkin, die Ausrichtung des Subjekts am Tauschwert im Zeitalter der globalen Computernetzwerke durch die Möglichkeit, "Ideen zu kontrollieren"51 noch weiter vorangetrieben werden. Es wird also durchaus lohnend sein, nach dem nun folgenden Hauptteil der Arbeit im letzten Kapitel wieder auf Adorno zurückzukommen.



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