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Unterabschnitte

Netzaktivismus

"Kunst, ob Happening oder nicht, hätte ein Modell zur Mimesis: die Hacker vom CCC Hamburg."1

Der Umstand, dass das Internet in den ersten zwanzig Jahren seines Bestehens auf eine relativ kleine Wissenschaftsgemeinde beschränkt war, liegt nicht zuletzt darin begründet, dass Computer bis in die Mitte der 80er Jahre für den privaten Gebrauch schlichtweg unbezahlbar waren. Erst mit dem Boom des Personal-Computers,2 welcher zunächst als Einzelplatzrechner konzipiert war, lag es nahezu auf der Hand, dass das Internet sein in ihm angelegtes Potential als Massenmedium realisieren wird.

Die Erfindung des World Wide Web, ebenfalls noch in den 80er Jahren, brachte in der Folge eine Reihe von Software-Applikationen mit sich, die vornehmlich von kommerziellen Firmen entwickelt worden sind. Es bildete sich so eine Pluralität in den Verwendungsmöglickeiten des globalen Computernetzwerks heraus und gerade die potentiell unbegrenzte Wachstumsmöglichkeit, die überbordende Vielfalt der angebotenen Inhalte macht einen wesentlichen Aspekt des Internet aus. An dieser Pluralität gilt es festzuhalten, und die bestehende Gefahr ist, dass gerade in der zunehmenden Kommerzialisierung eine Bedrohung für diese Vielfalt begründet liegt. Was von der Firma Microsoft im Softwarebereich vorgemacht worden ist, wird sich bei den Dienstleistern im Internet wohlmöglich wiederholen. Unternehmen mit dem entsprechend aggressiven Marketing werden andere Konkurrenten verdrängen oder in einem Konzentrationsprozess werden sich integrierte Konzerne herausbilden.3 Dies kann dazu führen, dass früher oder später die Wahlmöglichkeit zwischen verschiedenen Anbietern massiv einschränkt wird. Der nicht-kommerzielle Bereich ist zunächst von diesem Verdrängungswettbewerb nicht betroffen. Es muss sich aber erst noch herausstellen, ob nicht früher oder später auch gemeinnützige, politische und andere Interessensgemeinschaften im Internet von den großen Konzernen als unliebsame Konkurrenz im Kampf um die "Einschaltquoten" erachtet werden.4

Das Internet in seiner heutigen Form bildet so den Hintergrund für den eigentlichen Gegenstand dieser Arbeit. Neben einer exponentiell wachsenden Zahl an Internetseiten aller nur erdenklichen Firmen, neben einer stattlichen Anzahl an Ideen, mit dem neuen Medium neue Geldquellen zu erschließen, neue Produkte und Dienstleistungen anzubieten, findet sich auch eine stetig wachsende Anzahl nicht-kommerzieller Internetprojekte. Da es hierfür meines Wissens kein zentrales Verzeichnis existiert, wäre es sicherlich eine äußerst spannende Aufgabe, eine Art Enzyklopädie dieser "alternativen" Internetseiten zu erstellen, wie aber bereits in der Einleitung dieser Arbeit gesagt, wird sich hier weitestgehend auf vier Gruppen oder Projekte beschränkt.

Zusammengefasst werden diese Gruppen von mir unter dem Begriff Netzaktivismus. Ganz allgemein bezeichnet Netzaktivismus "den Gebrauch des Internet als Mittel des Protestes".5 In dieser weitgefassten Bedeutung soll der Begriff auch von mir verwendet werden, da jede Gruppe gegen Tendenzen, wie sie im vorigen Kapitel beschrieben worden sind, auf ihre Art und Weise protestiert. Dies geschieht etwa durch explizit künstlerische Praxen, wie auf den Netzkunstseiten von Jodi und bei den Aktionen etoys, wohingegen die Personen hinter dem Pseudonym RTMark deutlich politische und antikommerzielle Ambitionen verfolgen. Dies verbindet sich allerdings bei RTMark mit originär künstlerischen Praktiken, die denen von etoy recht nahe kommen. Während die drei genannten Opposition durch Kritik betreiben, sei diese nun offen vorgetragen oder künstlerisch "kodiert", wird bei dem Projekt der freien Software, besser bekannt durch das Betriebssystem GNU/Linux, durch Schaffung von Alternativen nur indirekt Kritik geübt. Im Hintergrund steht dabei aber das Modell einer offenen, selbstbestimmten Gesellschaft, deren kulturelle "Produktionsmittel" sich nicht ausschließlich in den Händen profitorientierter Unternehmen befindet.

Die Entwicklung freier Software erscheint zunächst als nicht unter den Begriff Netzaktivismus subsumierbar, ebensowenig wie die Netzkunst von Jodi, denen gelegentlich Selbstreferenzialität zur Last gelegt wird.6 Anders als etwa bei RTMark und etoy tritt eine politische Komponente nicht so deutlich in den Vordergrund, beziehungsweise zielt die Rezeption von GNU/Linux und Jodi meist nicht auf deren politischen Implikationen ab. Gerade bei der freien Software wird die dahintersteckende Ideologie durch ihr Substitut der "Open-Source-Software" ausgeblendet:

"Freie Software ist eine politische Aktion, die das Prinzip der Freiheit über alles andere stellt. Das ist der fundamentale Unterschied zu Open Source, das einen rein praktisch motivierten Weg darstellt, um Software zu schreiben. Open Source stellt nicht die Frage nach der Freiheit der Nutzer. Open Source hat keine Ideologie."7

Wenn im folgenden Abschnitt von "Hackern" und "Hacktivismus" die Rede ist, dann soll hiermit nicht zuletzt die Absicht verfolgt werden, die freie Software im Kontext des Netzaktivismus zu situieren, wohingegen die Begriffe "Tactical Media" und "Netzkunst" vornehmlich zum Ziel haben, RTMark und etoy, beziehungsweise Jodi in eine Verbindung mit dem "Gebrauch des Internet als ein Mittel des Protestes" zu bringen.

Hacker

"Vorerst bleibt also nur, Geheimwaffen des Zweiten Weltkriegs für Decodierungen zu mißbrauchen"8

In den Medien wird gern und viel von den sogenannten Hackern geredet. Dargestellt werden sie als Bedrohung für die Informationsgesellschaft, kriminelle Ziele werden ihnen unterstellt. Verschwiegen wird dabei oftmals, dass die "Hacker" in der Regel eine klare Ethik befolgen, welche eben nicht destruktive Ziele verfolgt:

"hacker ethic /n. / 1. The belief, that information-sharing is a powerful positive good, and that it is an ethical duty of hackers to share their expertise by writing free software and facilitating access to information and to computing resources wherever possible. 2. The belief, that system-cracking for fun and exploration is ethically OK as long as the cracker commits no theft, vandalism, or breach of confidentiality."9

Der Begriff "Hacken" bezeichnet von seinem Ursprung her die direkte Interaktion mit einer Rechenmaschine in einem Time-Sharing-System, das Schreiben eines Computerprogrammes ohne das vorhergehende abstrakte Ausarbeiten eines stehenden Konzeptes.10 Im weiteren entwickelte sich rund um Mehrbenutzerumgebungen eine Art Hackerkultur, in welcher die unbeschränkte Weitergabe von Softwarecode obligatorisch gewesen ist:

"Whenever people from another university or a company wanted to port and use a program, we gladly let them. If you saw someone using an unfamiliar and interesting program, you could always ask to see the source code, so that you could read it, change it, or cannibalize parts of it to make a new program."11

Neben einem virtuosen Umgang mit Technik zeichnet den Hacker also der Wille aus, sein "Wissen" mit anderen zu teilen. Wenn es allerdings nicht nur um die freie Weitergabe von Softwarecode geht, sondern allgemeiner um die Bereitstellung von Informationen, dann wir hierbei deutlich unterschieden zwischen privaten Informationen und solchen, die die Öffentlichkeit betreffen: "Öffentliche Daten nützen, private Daten schützen".12 Die Unterscheidung allerdings zwischen legalem und illegalem Verhalten wird an dem Übergang von privaten und öffentlichen Daten in Frage gestellt. Um sich von dem schlichten Diebstahl von Information zu distanzieren, wurde der Begriff "Cracker" geprägt, wobei cracken zunächst einmal nur das Eindringen in fremde Computersysteme meint.13

Ganz klar dem Kontext des "Hackens" entstammt die "Free Software Foundation", und mit ihr das Betriebssystem GNU/Linux. Aber auch das Künstlerpaar Jodi sind Hacker, bei "oss.jodi.org" dringen sie in den heimischen Computer ein, verleihen ihm ein Eigenleben und zumindest virtuell zwingen sie mit "7061.jodi.org" den Benutzer, seinen PC zu erkunden, ihn von einer anderen, nicht auf der Oberfläche liegenden Seite kennen zu lernen.

Im Kontext dieser Arbeit ist zudem der Begriff "Hacktivismus" wichtig. Hiermit wird die Fusion von politischem Aktivismus und dem Hacken bezeichnet. Hauptziele sind dabei Regierungen, militärische Organisationen und große Konzerne.14 Hacktivisten nutzen das Internet, um mit gezielten technischen Angriffen die Infrastruktur des Gegners lahm zu legen. Wichtig ist dabei aber immer, dass diese Angriffe einen symbolischen Charakter haben. Im Toywar-Kapitel wird auf die Funktionsweisen solcher Protestaktionen noch näher eingegangen. Man könnte RTMark und etoy sicherlich dem Hacktivismus zurechnen. Für fruchtbarer jedoch, um das spezifische an diesen beiden Gruppen herauszuarbeiten, halte ich den von Geert Lovink geprägten Begriff "Tactical Media".

Tactical Media

Ein Merkmal des Internet, der computervermittelten Kommunikation gegenüber den anderen Massenmedien ist, dass die Produktionsmittel inzwischen relativ preiswert sind, als auch, dass zumindest von der Architektur des Internet der Zugang prinzipiell für alle offen ist. Möglich wird hierdurch eine Form der Distribution mit geringem finanziellen Aufwand und ein potentielles Millionenpublikum auch für kleine Inhaltsanbieter, wie Privatpersonen oder unabhängige politische Gruppen und Künstler. Zudem exisiteren keine institutionalisierten Kontrollgremien, die über den Zugang wachen oder gar den Umgang mit dem neuen Medium überwachen können. Wie schon ausgeführt, wird von verschiedenen Seiten her versucht, das Internet zu kontrollieren, jedoch bleibt es fraglich, ob dies tatsächlich jemals effektiv durchgesetzt werden kann. So ist es nicht weiter verwunderlich, dass das weltweite Datennetz ein idealer Ort für Opposition ist, welche in diesem Medium, und das ist wichtig, im Prinzip auf gleicher Ebene steht, wie Regierungen oder große kommerzielle Unternehmen. Im WWW sind die "Global Player" und ihre Gegner nur durch die URL voneinander getrennt. Idealer Ort ist das Internet auch deswegen, weil sich insbesondere hier die Globalisierung, welche doch meist nur eine Globalisierung der Marktwirtschaft ist, am schnellsten durchsetzten soll: "The structure of the Internet, which mirrors and fuels the decentralisation and hybridity of the global market economy and its geo-political correlatives, becomes an obvious and important site for resistance."15

Der Begriff "Tactical Media" bezeichnet eine Form des Widerstandes, welcher vornehmlich durch und in den Medien stattfindet. Es ist dies ein Widerstand, der sich der gleichen Strukturen bedient, wie diejenigen, gegen die sich die Kritik richtet:

"What makes our media tactical? In 'The Practice of Every Day Life' De Certeau analyzed popular culture not as a 'domain of texts or artifacts rather as a set of practices or operations performed on textual or text like structures'. He shifted the emphasis from representations in their own right to the 'uses' of representations. In other words how do we as consumers use the texts and artifacts that surround us. And the answer he suggested, was 'tactically'. [...] He described the process of consumption as a set of tactics by which the weak make use of the strong."16

Es ist im Prinzip genau diese Vorgehensweise, welcher sich etoy und RTMark bedienen. Sie verwenden die Repräsentationen ihrer Gegner, um diese zu kritisieren. Ihr subversiver Umgang mit Kultur, ihr Umgang mit Urheberrecht, mit Markenzeichen, mit Konzepten der Marktwirtschaft, verbindet sich bei ihnen mit einem ebenso subversiven Umgang mit Technik, welcher ihre Form des Protestes mittels der Medien erst ermöglicht. Aber auch die Initiatoren der freien Software bedienen sich eines wichtigen Kontrollmechanismus großer Medien- oder Softwarekonzerne: Sie verwenden das gültige Urheberschutzrecht und wenden es gegen sich selbst. Aus einer Gesetzgebung, die das geistige Eigentum schützen soll, wird eine Lizenz, die garantiert, dass aus freier Software niemals Eigentum werden kann, aus "Copyright" wird "Copyleft".

net.art

Der Begriff "net.art" dient dazu, um einer Kunstrichtung einen Namen zu geben, welche im Internet entsteht und auch nur dort fortbestehen kann. Laut dem Künstler Alexei Shulgin wurde die Bezeichnung "net.art" vom Internet selbst geprägt:

"In December 1995 Vuk Cosic got a message, sent via anonymous mailer. Because of incompatibility of software, the opened text appeared to be practically unreadable ascii abracadabra. The only fragment of it that made any sense looked something like:
[...] J8g# | /;Net. Art{-s1 [...]
Vuk was very much amazed and excited: the net itself gave him a name for activity he was involved in!"17

Hiermit ist eigentlich auch schon gesagt, worin sich Netzkunst, oder net.art von "Kunst im Netz" unterscheidet. Letztere ist im Grunde eine Art Illustration von Kunst, die außerhalb des Internet ohnehin exisitert oder ohne das Netz existieren könnte. Netzkunst hingegen thematisiert die Umgebung, in welcher sie stattfindet. Eng verknüpft mit den medialen Eigenschaften des Internet ist auch die Prozesshaftigkeit von Netzkunst. Kunst im Netz ist in aller Regel unveränderlich, wenn eine Galerie ihre Bilder auch online ausstellt, dann ist dies nicht mehr als die aktualisierte Form eines Ausstellungskataloges. Netzkunst findet hingegen permanent statt und besitzt keinen abgeschlossenen Zustand. Bei der Tafelmalerei etwa kommt dem Kunstwerk mit dem Akt der Veräußerung ein Status der Unveränderlichkeit, der Endgültigkeit zu. Im Gegensatz hierzu schaffen Netzkünstler im strengen Sinne keine endgültigen Werke. Sie haben durchgängig die Möglichkeit ihre Arbeiten neu zu bearbeiten, immer wieder neue Versionen zu "publizieren". Das technische Apriori der Netzkunst, die rasante Weiterentwicklung von Hard- und Software verbieten es geradezu, von einem abgeschlossenen Werk zu sprechen: "We once had a problem when Netscape 3.0 came out. We used these background layers that kept flipping back and forth under Netscape 2.0, and that didn't work with the new browser."18 Sicherlich ist es möglich, ein Werk zu konservieren, indem man es etwa auf einer CD-ROM sichert, nötig wird dann aber auch ein Konservieren der Technik. In diesem Falle wäre es aber keine Netzkunst mehr, wenn man davon ausgeht, dass die Veränderlichkeit ein wichtiges Merkmal für Netzkunst ist, ebenso wie die Veränderlichkeit ihrem Medium Internet eingeschrieben zu sein scheint.19

Ein anderer wichtiger Aspekt für die Bewertung von net.art kann die Beteiligung des Rezipienten sein:

"Eine Gruppe oder ein Einzelner entwirft ein System, das durch andere Menschen erweitert werden kann. Idee ist dabei, daß die Kollaboration vieler Menschen Bedingung für die Entwicklung eines Gesamtsystems wird. [...] Bei allen Netzkunstprojekten gibt es einen zurückverfolgbaren Ausgangspunkt, sozusagen einen Urheber. Jedoch was sich aus einer Idee eines einzelnen Künstlers durch Kollaboration vieler entwickelt, ist nicht kalkulierbar."20

Auch hier wird wieder der prozessuale Charakter von Netzkunst deutlich. Unter Beteiligung des Publikums haben Netzkünstler eben nur noch bedingt Einfluss auf das Werk. Besitzt das Internet eine prinzipiell offene Struktur, so wird ein Kunstwerk, das ebenso offen ist, dem Medium nur gerecht: "Das Internet hat seine Popularität, im Gegensatz zu den Massenmedien, durch das Bewußtsein eines ständigen Gebens und Nehmens ihrer Nutzer entwickelt."21

Trotzdem ist Interaktivität keine zwingende Voraussetzung von Netzkunst, diese muss nicht auf seine Rezipienten oder auf die spezifischen Eigenschaften des Mediums Rücksicht nehmen. Mitunter macht es die Qualität eines Werkes aus, wenn gerade die medialen Merkmale frustriert oder irritiert werden: "Schlagwörter wie Dislokation, Identität, Wahrheit, Wirklichkeit, Territorium - die durch das Netz populär wurden - werden von Netzkünstlern aufgegriffen und oft radikal verarbeitet."22

Irritation ist die spezifische Domäne des Künstlerpaares Jodi, ebenso wie von etoy und RTMark, wobei die letzteren beiden auch speziell auf den kollaborativen Aspekt von Netzkunst abzielen. In Hinsicht auf freie Software ist zwar der Aspekt der Gemeinschaftsbildung, der offenen und freien Zusammenarbeit absolut prägend, doch diese entzieht sich ansonsten weitgehend der Einordnung in einen Kunstkontext.



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