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Unterabschnitte

RTMark - A System for Change

"www.RTMark.com is one of the leading organizations in the impact management sector since 1997. this investment group ist probably the most dangerous competitor for the etoy.CORPORATION in terms of market confusion, trade mark dilution and acquisitions. [...] over the last two years RTMark covered the political activism market while the etoy.CORPORATION protected its leader position in the surreal e-commerce incubation sector."1

RTMark agieren im Internet als Plattform für unterschiedlichste Formen der "kulturellen Sabotage". Allerdings soll eine solche Sabotage nicht destruktiv verstanden werden, vielmehr soll aus ihr ein Profit, ein kultureller Gewinn resultieren. Zu Beginn, im Jahre 1992, bestand ihr System der Projektkoordinierung noch aus einer schlichten Datenbank auf einem Internet-Server. Ihren Auftritt im WWW fünf Jahre später schulden sie der Erkenntnis, dass es offenbar ein stetig wachsendes Interesse an kultureller Sabotage gibt: "The recent widespread publication of the so-called 'Kelly Award' for ' best creative subversion' has prompted us at RTMark to present a public face for the first time in our history."2 Durch ihr öffentliches Auftreten soll die Möglichkeit einer wesentlich breiteren Beteiligung unterschiedlichster Personengruppen gegeben werden.

RTMarks Auftritt im World Wide Web seit 1997 ist auf den ersten Blick ebenso oberflächlich, so "nichtssagend" wie es auch, laut RTMark, international agierende Unternehmen sind:

"In approaching the problem of opposing corporate power, we immediately had to acknowledge that corporate power is different, essentially and perceptually, from the government power against which there is such a long and varied tradition of resistance. Corporate power is alien and faceless, a disembodied, unlocalized, inhuman force that constantly thrusts itself upon us, but has only a multitude of seemingly dissociated aims and no position we can count on, or against which we can fight."3

Unter der URL "rtmark.com" findet sich dann auch, wie bereits bei etoy, eine Internet-Site, welche vom Aufbau und vom Jargon her Mimikry an den für das Internet aufbereiteten Selbstdarstellungen großer Unternehmen betreibt. Allerdings ist diese Form der Mimikry nicht bloße Parodie, sondern schlechthin Konzept für ihre Art des Aktivismus. Indem RTMark wie ein kommerzielles Unternehmen auftreten, kommen sie in den Genuss, so die Theorie, der "limited liability", wie sie amerikanischen Firmen von Seiten der Gesetzgebung zugestanden wird.4 In etwa vergleichbar mit der bundesdeutschen Unternehmensform der GmbH hat ein Unternehmen zwar die Rechte einer natürlichen Person5, haftet aber im Schadensfall nur mit der Kapitaleinlage der Gesellschafter. Diese können über die Kapitalhaftung hinaus nicht belangt werden: "'Limited liability' is essentially freedom from responsibility. With corporate 'limited liability' protection, one can do many things without full financial or legal responsibility for what happens. The corporation, that entity, takes on that responsibility itself. Of course it cannot be punished."6 Neben einer fundamentalen Kritik an einer Wirtschaftsform, deren Hauptverantwortliche aufgrund der "limitierten Verantwortung" für eventuelle soziale oder ökologische Schäden nur unzureichend haftbar gemacht werden können,7 beinhaltet RTMarks Adaption dieser Unternehmensform auch limitierte Verantwortung für Sabotageaktionen. In diesem Sinne bieten RTMark ihren anonymen Investoren Rechtsicherheit, indem zwar die "Firma" RTMark haften muss, nicht aber die dahinterstehenden Personen.

Kern ihres Konzeptes ist eine Datenbank, auf der Vorschläge für Sabotageprojekte gesammelt werden. Die Schlüssel zur Durchführung eines Projektes bestehen aus der Idee, dem Sponsor und dem Arbeiter, wobei diese Elemente auf RTMarks Internet-Site koordiniert werden und die Dienstleistung von RTMark erst aus dieser Zusammenführung resultiert. Zudem werden erfolgreiche Projekte von RTMark nach Möglichkeit in den Massenmedien publiziert. Jeder Besucher der Internet-Site von RTMark hat die Möglichkeit, eigene Vorschläge einzubringen oder sich an einem bestehenden Projekt zu beteiligen, sei es als Sponsor oder als Arbeiter. Zusätzlich werden inhaltlich ähnliche Projekte in den "Mutual Funds" zusammengefasst. Jeder dieser "Investmentfonds"8 wird von einem Fondmanager verwaltet. Potentielle Investoren müssen sich so nicht mehr für ein bestimmtes Projekt entscheiden, sie können sich auf das "Sachverständnis" der Manager verlassen.9

In der Wirtschaft haben Investmentfonds die Funktion, Wertpapiere von Unternehmen aus verschiedenen Wirtschaftssektoren zusammenzufassen. Durch die sogenannte "Risikodiversifikation" soll das Risiko bei Kursschwankungen für die Anleger vermindert werden. Auf diese Art und Weise wird die Teilhabe von Privatpersonen mit nur geringem Kapital an der Börsenspekulation ermöglicht, da für diese nicht mehr die Gefahr besteht, mit einem Schlag ihr geamtes Vermögen zu verlieren. Diesem Konzept folgen auch RTMark: Mit den "Mutual Funds" erhöhen sie die Sicherheit der Investoren, ebenso, wie sie die Teilhabe kleinerer Investoren am Erfolg risikoreicher und aufwendiger Aktionen erlauben. Der Unterschied zu privatwirtschatlichen Investmentfonds ist allerdings, dass die Partizipation am Erfolg, die Dividende bei der kulturellen Sabotage nicht in finanziellen Gewinnen besteht. Die von RTMark initialisierten Aktionen verfolgen in ihren Absichten, ähnlich der etoy.SHARES, ästhetische oder kulturelle Ziele:

"RTMark is a system of workers, ideas and money whose function is to encourage the intelligent sabotage of mass-producted items. The projects that the RTMark system helps fund are aesthetic or activist in their aim, [...] and tend to be relatively benign - they do not cause physical injury, and they do not fundamentally damage a product or a company's profits."10

Betont werden muss, dass keine wirtschaftlichen oder parteipolitischen Zwecke hinter den Projekten stehen, trotz und gerade weil konkrete Unternehmen, wie die Spielzeugfirma Martell und auch konkrete Politiker, wie der Präsidentschaftskandidat G.W. Bush, angegriffen werden. RTMark wollen sich nicht instrumetalisieren lassen, Sinn und Zweck der kulturellen Sabotage ist kultureller Profit, welcher seinerseits zu einer Art Bewusstseinsveränderung der Öffentlichkeit führen soll. "Klassische" politische oder antikapitalistische Propaganda steht immer in der Gefahr, unwillentlich zu einem Zerrbild des Abgelehnten zu mutieren. Ästhetische oder kulturelle Sabotage hingegen nistet sich in bestehende Strukturen ein und benutzt ihre Oberfläche, um diese aus sich selbst heraus zu entlarven. Zur Illustration sollen hier zwei erfolgreich abgeschlossene Projekte dienen:

"A group of military veterans opposed to war toys and the like put forth the idea: to switch the voiceboxes of GI Joe and Barbie dolls so that when they were purchased, GI Joes would speak like Barbies and vice-versa. They also offered a sum for the accomplishment of this project. [...] After nearly a year, the group that came to be known as the Barbie Liberation Organization (BLO) put forth a proposal to enter stores where the dolls had already been placed for sale, buy them, and then return them to the shelves with their voiceboxes switched. [...] The BLO purchased and altered several hundred Barbies and GI Joes, at which point the project was deemed successful. The veterans' group also agreed to fund a video discussing the action, which the BLO made and distributed to the media and to universities."11
"A stripper, who played action games and knew that Maxis, Inc. was beginning work on its first such, put forth the idea: that someone add very visible homoerotic content to this new game. [...] An unemployed programmer liked the idea and declared his availability. Shortly after this a shopowner with activist leanings also fell in with a reward. [...] At this point the project was launched. The programmer fulfilled the project idea by making swimsuit-clad men appear here and there and express their mutual affection in a very dramatic way; by the time Maxis, Inc. discovered this and fired the programmer, the game had been shipped all over the country. To make the 'homoerotic content' more visible, the result was publicized in the media."12

Im Prinzip handelt es sich hierbei um nichts anderes als Parodie. Jedoch tritt diese Parodie unter dem Deckmantel des Originals auf, sie bedient sich der Infrastruktur des Originals und ist insofern nicht mehr ohne weiteres von diesem zu unterscheiden.

In den zitierten Beispielen wird auch die Wichtigkeit der Sponsoren deutlich. In der Barbie-Aktion mussten mit deren Geld die Puppen angeschafft werden, im Fall des Computerspiels verlor der Programmierer, der den Code des Computerspiels korrumpiert hatte, nach dieser Aktion seinen Job. Zur Kompensation wurde ihm das ausgelobte Geld zur Verfügung gestellt. Wichtiger jedoch als ein eventueller finanzieller Gewinn, der zumindest potentiell in der ausgelobten Prämie für eine erfolgreich abgeschlossenen Aktion bestehen könnte, ist der nicht-materielle, kulturelle Gewinn:

"RTMark's concept is based on the assumption that employees have a deep-seated desire to misbehave. Fortunately for RTMark, this is the case; as Martin Sprouse documented in his 1992 book 'Sabotage in the American Workplace' [...], practically everyone, who ist employed already misbehaves substantially, with or without a philosophical underpinning. After interviewing hundreds of workers - who had done things as mundane as stealing office supplies, and as aggressive as knowingly cashing bad checks - Sprouse came to the conclusion that 'work is the one place where people actually get revenge.' "13

Ganz in eine betriebswissenschaftliche Rhetorik gekleidet erklären RTMark ihr "Mutual Fund Model" als ein System zur Maximierung des Profits. Im Arbeiter, der sich subversiv seinem Arbeitgeber gegenüber verhält, kristalliert sich dieser kulturelle Profit in besonderer Weise, doch auch der "Investor" erhält seine Dividende: "Being associated with a project you consider worthwhile can bring a great deal of satisfaction - of a type that is not available elsewhere at any price."14 Um diese Dividende zu garantieren, bürgen RTMark mit ihrem guten Namen, welcher ein breites Medienecho selbst bei kleineren Projekten gewährleisten soll. Geradezu spezialisiert sind RTMark als Dienstleister in der Kunst der "Public Relation". Ausgestattet mit den neuesten Technologien und dem entsprechenden Know-How hat ein Investor bei RTMark gegenüber dem Stifter eines Kunstwerkes bereits den Vorteil, dass die Veröffentlichung Teil des "Werkes" ist.

Fake - Die Kunst der Verdoppelung

Beschrieben wurde bereits, wie RTMarks Dienstleistungsmodell anderen Personengruppen ein Forum zur kulturellen Sabotage bietet. Allerdings treten RTMark auch als Produzenten in Erscheinung. Ganz im Sinne ihrer Mimikry an das "Corporate America" sind sie verantwortlich für verschiedene spektakuläre "Fake-Sites". Diese Web-Seiten zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich in formaler als auch inhaltlicher Hinsicht stark an das "Original" anlehnen, so dass es einem unvoreigenommenen Betrachter zunächst schwer fällt, eine Fake-Site als Fälschung zu identifizieren. Eine besondere Rolle spielt hierbei die URL. Diese kann als einziges Element für die Verbürgung des Originals einstehen, da sie weltweit nur ein einziges mal existieren kann und somit eindeutig ist. Eine möglichst ähnliche URL kann die Unterscheidung von Original und Fälschung durchaus erschweren. Da die technischen Gegebenheiten des Internet die Erstellung von Fake-Sites geradezu unterstützt,15 kann es nicht verwundern, wenn die Internet-Gruppe RTMark diese Technik in besonderer Weise kultivieren. So existieren von RTMark zum Beispiel Fälschungen der Web-Seiten von McDonalds16 und Shell.17 In dieser Arbeit sollen jedoch die Parodie der offiziellen WTO-Site18 und RTMarks Version der Homepage von George W. Bush,19 U.S.-Gouvernour von Texas und Präsidentschaftskandidat der Republikaner im Wahlkampf 2000, von besonderem Interesse sein, da in diesen beiden Fällen die Reaktionen der Angegriffenen äußerst bemerkenswert sind. Die Gegenreaktionen sowohl der WTO als auch von Bush und seinem Komitee kamen RTMarks Fälschungen nur zugute.

"There ought to be limits to freedom"

Die Popularisierung des Internet im ausgehenden 20. Jahrhundert blieb selbstredend nicht ohne Auswirkung auf die Politik. Bereits der Präsidentschaftswahlkampf in den USA 1996 wurde, außer in den klassischen Massenmedien, ebenso im World Wide Web ausgefochten. Darauf spekulierend, dass es auch bei dem nächsten Wahlkampf nicht anders sein wird, sicherte sich Zack Exley, ein Computerberater aus Boston, bereits frühzeitig verschiedene Domain-Namen. Unter anderem konnte er die URL "www.gwbush.com" erwerben. Zunächst aus finanziellen Interessen heraus, die allerdings nicht erfüllt wurden, beauftragte Exley dann aber RTMark, eine Homepage unter besagter URL auszugestalten.20

Die erste Reaktion von Bushs Wahlkampfkomitee nach der Veröffentlichung der Fake-Site bestand darin, alle möglichen URLs, welche in Verbindung mit Bush stehen könnten, kurzerhand aufzukaufen.21 Trotzdem das Wahlkomitee wohl über 260 Domainnamen aufgekauft hat, ist ihm sein Projekt bei weitem nicht gelungen. RTMark gelang es eigenen Angaben zufolge unter anderem "justsayyestobush.com, fantasticbush.com, bushisnicelydressed.org"22 für sich zu reservieren. Bereits hieran lässt sich schon das inadäquate Verhalten des Wahlkampfkomitees ablesen, welches zwar im Internet agiert, jedoch scheinbar kein Verständnis für die Möglichkeiten dieses Mediums besitzt: "It's been the lesson of the Internet [...] that damming up an information flow is hardly as easy as it once seemed. No one has enough fingers to plug up all the holes."23

Wie nicht anders zu erwarten, war der nächste Schritt, um die Parodie der Wahlkampfseite zu unterbinden, eine Aufforderung des Rechtsanwaltes Bushs an Exley, die Seite aus dem Netz zu nehmen.24 Hierzu wurde Exley eine Verletzung des Urheberrechtes vorgeworfen und auf die sogenannte "Fair-Use" Regelung verwiesen, welche regelt, inwieweit Inhalte aus dem Internet kopiert werden dürfen. Weiterhin unterstellte Bushs Pressesprecherin den Betreibern von "www.gwbush.com", dass ihre Internetseite Hyperlinks zu pornografischen Inhalten beinhalten würde. In der Diskussion um Zensur im Internet ist das häufigste Argument für Zensur der Hinweis auf Pornografie, oder der Verweis auf extremistische und gewaltverherrlichende Internetseiten.25 In der Aufforderung zur Unterlassung findet sich dementsprechend auch der Hinweis: "[...] your site, which contains links to sites that promote violence and degrade women, is patently offensive."26 Allerdings lassen sich solche Hyperlinks nicht auf der Fake-Site von RTMark finden, wie es wohl auch von enttäuschten Besuchern der Webseite "www.gwbush.com" moniert wurde: "RTMARK and Exley are inundated with emails from frustrated visitors seeking pictures of nude women."27 Als letzter Schritt wurde von Seiten Bushs dann noch eine Anzeige bei der "Federal Elections Commission" eingereicht, in der behauptet wurde, dass die Parodie-Seite ein politisches Komitee im Sinne des amerikanischen Rechts darstelle.28 Doch erst nachdem der Fall der Presse bekannt wurde, Bush den Besitzer der Site "www.gwbush.com" als "garbage man" beschimpfte und forderte: "There ought to be limits to freedom"29 war der Kampf endgültig zuungunsten von Bush entschieden. Gerade hierdurch verschaffte er seiner Parodie die allergrößte Aufmerksamkeit: "Immerhin hat es Bush so geschafft, dass gwbush.com seit Mai bereits eine Million Visits verbuchen kann."30

Mit dem Klon der Bush Homepage war es eigentlich RTMarks Absicht, Kritik an der Art und Weise zu üben, wie amerikanische Unternehmen den politischen Wahlkampf beeinflussen, George W. Bush als Person war eigentlich sekundär, erst seine heftige Gegenwehr machte ihn zum Ziel der RTMark Kampagne:

"Bush himself was originally a secondary issue for us. We just wanted to use gwbush.com as a platform to make various points about how corporations have subverted and sabotaged the political and electoral process, and hoped it could illustrate the low level to which campaigning has sunk."31

RTMarks Form der Transparenz

Wie schon bei "www.gwbush.com" wurde die Fake-Site "www.gatt.org" erst durch die heftige Gegenwehr der Inhaber des "Originals" komplettiert. Hier war es die World Trade Organization und ihre Homepage unter der URL "www.wto.org", denen die Fälschung galt. Laut RTMark dient die WTO im Wesentlichen der Durchsetzung von Interessen global agierender Konzerne gegen demokratisch gewählte Regierungen. Die formal täuschend echte Kopie der WTO Homepage unter der URL "www.gatt.org",32 welche von RTMark im Vorfeld des WTO-Treffens in Seattle ins Internet gestellt wurde, beinhaltet dementsprechend durchweg Kritik an den Praktiken der WTO. Als der WTO-Direktor Mike Moore auf der offiziellen Homepage seiner Organisation eine Warnung vor der Fälschung aussprach, bewirkte er damit, dass die Fälschung vermehrt Aufmerksamkeit auf sich zog. RTMark trieb das Verwirrspiel allerdings noch einen Schritt weiter und fügten ihrer Fälschung ebenfalls eine Warnung an: "A website purpoting to be an informative official WTO site is misleading visitors and undermining the WTO's transparency."33 Diese Warnung enthält dann zudem noch einen Link "view the fake page", welcher auf die echte Seite "www.wto.org" verweist.

Ein wichtiger Unterschied der Fälschung zum Original ist, neben den veränderten Texten, dass unter "www.gatt.org" ein Forum für eine Vielzahl an Nicht-Regierungs-Organisationen geschaffen wurde. Es findet sich eine lange Liste von Hyperlinks auf dieser Fake-Site. Hauptsächlich wurden die Protestaktionen gegen die Tagung der WTO in Seattle koordiniert, die Hyperlinks stellen aber auch Verknüpfungen zu einer großen Menge an kritischen Informationen über die WTO bereit. Letzteres ist besonders wichtig in Hinsicht darauf, dass der WTO Direktor Mike Moore in seiner Reaktion auf "www.gatt.org" RTMark Missinformation vorgeworfen hat:

"I am deeply concerned about the recent appearence of anonymous websites which copy important design features of the WTO's official website. This causes confusion among visitors looking for genuine information from the WTO, disrupting a much-needed democratic dialogue. It's illegal and it's unfair to those who have a genuine case in criticizing the WTO, [...]. By creating confusion, the fake websites are interfering with the public's ability to obtain information from the WTO. [...] Whereas the WTO uses the image of the official logo of the WTO Ministerial Conference as a hyperlink to the official conference website, these fake sites use it to link to anti-WTO material - further misleading web users."34

Im Gegensatz zu Moores Darstellung ist es allerdings gerade Ziel und Zweck des "anti-WTO material", Transparenz herzustellen. Indem RTMark ihre Seite zu anderen Protestseiten verlinken, schaffen erst sie die Möglichkeit zu demokratischen Dialog, indem sie Gegenargumente liefern. Einziges "Verbrechen", dessen sich RTMark schuldig machten, ist es, die Gestaltung der offiziellen WTO-Homepage zu kopieren und sich als das Original auszugeben.

Gerade das Internet bietet die Möglichkeit, dass die Inhalte kleiner Anbieter in unmittelbarer Nachbarschaft zu allen anderen Angeboten stehen, einzig durch die URL voneinander geschieden. Diese verbürgt als einziges noch die Autorität einer Repräsentation. Es ist also nicht der Inhalt, sondern vielmehr die allzu große "Nähe" im World Wide Web, welche eine Web-Seite zu einer Gefahr für die Mächtigen werden lässt. Letztere haben nicht mehr die Möglichkeit, die für ihre Autorität so notwendige Distanz herzustellen. In diesem Sinne können dann auch die Äußerungen von Bushs Wahlkampfkomitee gelesen werden: "We appreciate humor. We appreciate parody. George Bush is known for his sense of humor [...]. But there's a difference between expressing opinion, poking fun and breaking the law."35 Da George W. Bush allerdings den Schritt vor Gericht scheute, darf vermutet werden, dass es hier nicht um die Differenz von Parodie und Gesetzesbruch ging, sondern vielmehr um die mangelnde Differenz zwischen den Kritikern und den Kritisierten.

Ähnliches ist auch im Falle des WTO-Fakes zu vermuten. Die Anschuldigungen, welche der WTO Direktor Mike Moore vorbringt, um die Betreiber von "www.gatt.org" zu diskreditieren, erscheinen vorgeschoben. Keinesfalls stören RTMark den demokratischen Dialog, keinesfalls könnte ein Besucher der Fake-Site auf die Idee kommen, es handele sich hierbei um die offizielle Internet-Site der WTO, dafür ist die Kritik an dieser viel zu deutlich:

"Wenn die WTO RTMark beschuldige, sich nicht an die Regeln zu halten, würde sie damit die Organisation zu einem ebenbürtigen Gegener im selben Spiel machen. 'Wir sind überaus geschmeichelt, dass die WTO so handelt, als wäre RTMark ihr ebenbürtig, aber es ist ironisch, dass sie so erzürnt ist. Trotz des neoliberalen Mythos einer Chancengleichheit freut sich die WTO nicht über diesen kleinen Dialog, sie will uns nur den Mund verschließen.' "36

George Bush und Mike Moore erteilen beide der Öffentlichkeit eine Lektion, wie man sinnvollerweise nicht mit dem Internet umgeht. Diese Lektion heißt in einfachen Worten: "The more you come at a problem from an authoritarian standpoint, the bigger the problem becomes."37

Der Begriff "Tactical Media" wurde von mir bereits im Abschnitt 3.2 eingeführt und bisher noch nicht wieder aufgenommen. Nach den Ausführungen über etoy und über RTMark hat dieser Begriff aber erst seine Konkretisierung erfahren: "as a set of tactics by which the weak make use of the strong."38 Was Adorno als wichtiges Merkmal für die Kunst des 20. Jahrhunderts herauskristallisiert, die "Mimesis der Kunst an ihr Widerspiel"39, welche erst ihren subversiven Moment ausmacht, findet bei etoy und RTMark eine Parallele in ihrem "taktischen" Gebrauch der Repräsentationen anderer. Genötigt dazu werden RTMark und etoy, wie die Kunst bei Adorno: "[...] durch die soziale Realität. Während sie der Gesellschaft opponiert, vermag sie doch keinen ihr jenseitigen Standpunkt zu beziehen; Opposition gelingt ihr einzig durch Identifikation mit dem, wogegen sie aufbegehrt."40 Diese Identifikation mit, und das Aufbegehren gegen gesellschaftliche Realität äußert sich bei RTMark und etoy im zweckentfremdenden Gebrauch wirtschaftlicher "Strategien":

"Strategy is the mode, by which legitimated power operates from within a designated field; through language, political structures of representation, the assignation of gender roles, the regulation of space, discourses of the body and so on. In short, it is the productive mode of hegemonic power. Tactics, by contrast, has no proper site, discourse or language, of it's own - it 'insinuates itself into the other's place', it adorns itself in the other's garb, speaks through the other's language, [...]"41

Strategien also affirmieren und produzieren gesellschaftliche Machtzusammenhänge. Die Verwendung betriebswirtschaftlicher Terminologie oder wirtschaftlicher Modelle, um ein kommerzielles Produkt oder eine Dienstleistung zu vermarkten, dient nicht zuletzt der Selbstaffirmation des eigenen Systems, der Marktwirtschaft. In der taktischen Umfunktionierung, im Missbrauch von marktwirtschaftlichem Jargon, in der Adaption der Modelle "Investmentfond", "Makleragentur" und "Aktiengesellschaft" vollführen RTMark und etoy den Systemwechsel: von der Marktwirtschaft in die Kunst, beziehungsweise in den politischen Aktivismus. Im Systemwechsel dienen die wirtschaftlichen Strategien der Kritik an der Gegenwart, in welcher ohnehin im Medienverbund Internet Kunst, Politik, Wirtschaft und Unterhaltung zu einer "nahtlosen Oberfläche" miteinander verschmelzen. Neben der Kritik ist der Missbrauch von Repräsentationen allerdings auch eine äußerst wirkungsvolle Taktik, um im Medienverbund Internet bestehen zu können. Aus der vermeintlich schwächeren Künstlergruppe etoy wurde so durch die strategische - oder besser taktische - Allianz der beiden Firmen RTMark und etoy ein ernstzunehmender Gegner im sogenannten "Toywar".



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