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Unterabschnitte

Toywar

Als mit einem vorläufigen Gerichtsbeschluss vom 29. November 1999 ein amerikanisches Gericht1 der Netzkunstgruppe etoy mit sofortiger Wirkung die Verwendung ihres Domain-Namens "www.etoy.com" untersagte, setzte dies eine Auseinandersetzung in Gang, die in einem virtuellen "Spielzeugkrieg" mündete. Der amerikanische Online-Händler für Kinderspielzeug "eToys", der seine Dienstleistung unter der URL "www.etoys.com" anbietet, fühlte sich durch die unmittelbare Namensverwandtschaft mit den provokanten Netzkünstlern in der Ausübung seines Geschäftes behindert. Durch Verwechslung oder schlicht durch Vertippen verlor etoys.com "20.000 von 300.000 Hits pro Tag an etoy.com."2 Nachdem beide bereits mehr als zwei Jahre friedlich nebeneinander existiert hatten, möglicherweise nicht einmal voneinander wussten, wurde der E-Commerce Gigant eToys spätestens durch ein Schreiben eines entsetzten Kunden auf ihre bösen Nachbarn aufmerksam: "My grandson was looking for toys for his birthday and brought this to my attention. Are you completely nuts. What an irresponsible thing to show young children. We will never buy from you again."3 Der Kunde fügte seinem Schreiben noch zwei Ausdrucke des Objektes der Empörung bei, aus denen ersichtlich wurde, dass er bei "www.etoys.com" schlicht das 's' vergessen hatte und so statt des erhofften Geburtstagsgeschenks die Aufforderung "We do not support the old fashioned way ... get the fucking flash plugin!"4 zu sehen bekam. Dieser, wenn auch provokant formulierte technische Hinweis, dass sich ein Besucher von "www.etoy.com" einer bestimmten Software bedienen müsse, um ihre Internet-Site betrachten zu können, alarmierte das Management von eToys. Nach einer eingehenderen Untersuchung der Kunstseite kam man zu dem Urteil, dass eine Verwechslung von "etoys.com" mit "etoy.com" sich geschäftsschädigend auswirkt. Nachdem etoy sich ihren Domain-Namen nicht von eToys haben abkaufen lassen,5 zogen letztere vor Gericht, mit der Begründung, dass etoy die Kunden von eToys verwirren würden. Zudem wurde der Vorwurf erhoben, dass auf der Internet-Site von etoy pornografische und terroristische Inhalte zu finden seien. Da sich allerdings keine explizite Pornografie und auch keine Aufrufe zur Gewalt unter "www.etoy.com" finden lassen, könnte allein die Gefahr der Verwirrung eventueller Kunden als gerechtfertigt erscheinen.6

Das Verwirrspiel mit ähnlichen Domain-Namen wurde bereits im Zusammenhang mit den Fake-Seiten RTMarks besprochen. Da dies neben dem Zweck der Opposition auch dazu geeignet ist, mit dem frühzeitigen Kauf und später gewinnbringenden Verkauf lukrativer Netz-Adressen leicht zu Geld zu kommen, existiert seit Ende 1999 in den Vereinigten Staaten ein Gesetz gegen das sogenannte "Cybersquatting". Das Wort "squatting" bedeutet übersetzt soviel wie "besetzen"; ein "squatter" ist ein "illegaler Siedler" oder ein "Hausbesetzer"7, folglich also jemand, der sich etwas freies, leerstehendes unbefugt aneignet. Kern dieses Gesetzes ist der "bad faith", die schlechte Absicht, mit der unlautere Personen sich geschützte Warenzeichen als URL sichern.8 Wenn eToys nun den Künstlern von etoy vorwerfen, sie würden in böser Absicht den Domain-Namen etoy.com besetzt halten, also um potentielle Kunden zu verwirren, dann ist dies vollkommen absurd. Als die Künstler begannen, ihren Namen zu verwenden, haben eToys schlicht und ergreifend noch gar nicht existiert: "Though eToys registered its trademark in May 1997, and etoy filed for its U.S. trademark in June 1997, etoy argues that it first used this name in 1994, [...]. etoy registered its domain name on October 13, 1995, and eToys registered its own on November 3, 1997. That means that when eToys chose its domain name, it must have been aware that etoy existed."9

Der bisherige Grundsatz bei der Vergebung von Domain-Namen "first come - first serve"10 wird mit dem Gesetz gegen Cybersquatting im Wesentlichen ausgehebelt. Nicht zuletzt wird hiermit der Weg für große Unternehmen mit gut bezahlten Anwälten frei gemacht, um sich zu nehmen, was ihnen ihrer Meinung nach zusteht. Da etoy zwar ihren Domain-Namen bereits über drei Jahre vor eToys haben registrieren lassen, jedoch es versäumten, ihren Namen auch als Markenzeichen eintragen zu lassen, hatten sie bereits eine Woche nach Verabschiedung dieses neuen Gesetzes vor Gericht die schlechteren Karten. Trotzdem sich das "Superior Court of the State of California" nicht letztinstanzlich verantwortlich fühlte, verfügte es eine einstweilige Verfügung, in welcher den Künstlern von etoy unter hoher Strafandrohung untersagt wurde:

"1. Eine Webseite unter dem Domain Name www.etoy.com zu betreiben.
2. Den Domain Name www.etoy.com im Zusammenhang mit der Dokumentation ihres Projektes Digital Hijack zu benutzten, öffentlich zu machen oder in irgendeiner anderen Form zu verbreiten.
3. Die nicht registrierten Aktien des 'etoy stocks' Personen in den Vereinigten Staaten von Amerika oder Kalifornien zu verkaufen, zum Kauf anzubieten oder für den Kauf dieser Aktien zu werben.
4. Zu behaupten, dass die Marke etoy ein registriertes Markenzeichen sei, solange keine Registrierung dieser Marke durchgeführt wurde."11

Offensichtlich gelang es dem Spielzeughändler eToys, sich auf ganzer Linie durchzusetzen. Sämtliche Links im Internet, die auf "www.etoy.com" verweisen, wurden mit einem Schlag ungültig, da etoy gezwungen waren, statt eines Domain-Namens ihre numerische IP-Adresse zu verwenden.12 Noch absurder ist das Verbot, vergangene Projekte unter dem ursprünglichen Namen zu dokumentieren. Nicht nur, dass die Web-Seite von etoy nicht mehr zu erreichen war, musste der Name auch noch komplett aus dem Internet getilgt werden.

Wenn der Spielzeughändler eToys sich gegen die Verwechslung mit Kunst sträubt, so ist dies sein gutes Recht; wenn dadurch allerdings erreicht wird, dass das Missbeliebige vollkommen verdrängt wird, so schießt dies sicherlich weit über das Vertretbare hinaus. Bei einer zutieftst unklaren Rechtslage, welche aller Voraussicht nach erst über mehrere Instanzen hinweg entschieden werden kann, liegt der Verdacht nahe, dass in einem solchen Falle am Ende derjenige Recht bekommt, der über die besser bezahlten Anwälte und die höhere finanzielle Ausdauer verfügt.13 Zumal etoy durch eine einstweilige Verfügung schon mal vorläufig aus dem Netz "gelöscht" wurde.

This Means War!

Einer der wesentlichen Impulse für den Toywar ging von Reinhold Grether aus. Eigenen Angaben zufolge entwickelte er bereits in den ersten Dezembertagen 1999 das Konzept "to hype out the hype"14, welches der Kern der späteren RTMark-Kampagne werden sollte. Grundgedanke war es, den Börsenwert der Spielzeughändlers möglichst weit zu drücken. Erster Impuls war zwar, mit Hilfe des "Flood.net"15 die Webseite von eToys zu überfluten um diese für Kunden unverfügbar zu machen, eine Kampagne aber, die sich konkret gegen den Betreiber selbst und nicht nur gegen die Webseite wendet, musste allerdings als erfolgversprechender gewertet werden. Von Anfang an wurden alle Ideen und Aktionen über die Mailing-Listen "Rhizome" und "Nettime" veröffentlicht, so dass sich Grether unvermittelt im "Generalstab" von RTMark wiederfand.

Grether unterscheidet vier Akteure im Domain-Namens Konflikt zwischen etoy und eToys. Neben den beiden letztgenannten etoy und eToys hatte sich ein "autonome Revolte" herausgebildet, welche sich spontan über Mailinglisten konstituierte: "Schon in der ersten Nacht werden eToys die Eingabefenster ihrer Website mit Protesten zugepflastert. [...] Die autonome Revolte blieb ein durchlaufender dritter Akteur durch den gesamten Konflikt hindurch, ein ständiges Aufflackern des Protests, wenn ein neuer Artikel neue Leute erreichte."16 Kurze Zeit später kam es dann auch schon zur "professionalisierten Revolte", welche sich im "etoy-fund" von RTMark niederschlug. Aller Widerstand gegen eToys kulminierte dann pünktlich zum Jahreswechsel in der "Toywar-Plattform",17 einer Internetseite, auf der Aktionen gegen die Spielzeughändler koordiniert wurden, und auf der sich während des Krieges ca. 1800 "Soldaten" subskribierten:

"Wer sich nicht frühzeitig in Toywar angemeldet hatte, musste einen der auf der Startseite gelisteten Agenten um Rekrutierung bitten. Während der Rekrutierungsprozedur konnte man Emailadressen weiterer Anwärter benennen. Aus den Rekrutierungshierarchien entstanden virtuelle Truppen, die somit aus Bekannten und Unbekannten aller Herren Länder gemischt waren. Über eine Chat-Funktion kommunizierte man mit allen in der Plattform eingeloggten, über die Reise-Funktion mit einzelnen Agenten, über die Truppen-Funktion mit dem jeweiligen Rekrutierungsumkreis und über eine Alarm-Funktion mit der ganzen Toywar-Community."18

Hauptaufgabe der Soldaten war es, um die Breite des Protestes zu symbolisieren, in gemeinsamen Aktionen Protestmails zu versenden, für die reichlich Vorlagen bei RTMark zu finden waren.19 Neben den Anleitungen zu den Protestmails beinhaltete der "etoy-fund" noch weitere Vorschläge für Protestaktionen. Im "ENVS" Projekt wurde dazu aufgefordert, sich an an einem von mehreren im Internet exisierenden Investoren-Foren zu beteiligen, um dort Negativpropaganda gegen eToys zu betreiben. Investoren in eToys-Aktien sollten dazu aufgefordert werden, ihre Firmenanteile abzustoßen, potentielle Investoren sollten vom Kauf abgeschreckt werden. RTMark stellte zu diesem Zwecke Beispielbriefe als auch die URLs der entsprechenden Foren zur Verfügung. Das Projekt "EPC2" stellte sich zur Aufgabe, die Mitarbeiter von eToys zu überreden, ihren Job bei den Spielzeughändlern zu kündigen. Auf der Webseite "Quit eToys!" stellte RTMark die entsprechenden E-Mail Adressen der Angestellten von eToys bereit, dort wurde auch vermerkt, welche der Angestellten bereits den Job aufgegeben hatten. Unter "ERET" fand man eine Auflistung alternativer Online-Spielzeughändler, verbunden mit der Aufforderung, nicht mehr bei eToys zu kaufen. Die etoy Projekte wurden von RTMark als ein großes Computerspiel deklariert, an dem sich prinzipiell jeder beteiligen konnte: "Es gibt für jeden etwas, und wir wissen, dass wir leicht beim Start mit 10 000 Spielern rechnen können."20

Andere "Spiele" hingegen erforderten ein gewisses Maß an Know-How. Neben der Aufforderung, in den Server von eToys einzudringen, um die Inhalte der Webseiten zu verändern, gab es auch Aktionen, welche nicht so deutlich den Bereich des Legalen verlassen. Da bei einer politischen Aktion die Breite des Protestes von großer Wichtigkeit ist, bot sich ein virtueller "Sit-In" an, bei dem eine möglichst hohe Zahl von Aktivisten zu einem verabredeten Zeitpunkt simultan eine bestimmte Internet-Seite anwählen, um diese zu überlasten und für andere unerreichbar zu machen. Allerdings muss hierbei die Absicht der Angreifer deutlich werden, zudem sollten solche Sit-Ins, zeitlich begrenzt, mehr die Funktion eines Warnstreiks als der totalen Blockade dienen. Im Falle von eToys beschränkten sich diese Angriffe auf sechs 15minütige Perioden an zehn vorweihnachtlichen Tagen.21

Da ein leistungsfähiger Server solche Angriffe in der Regel handhaben kann, existieren Skripte, welche den Prozess des Aufrufens einer Internet-Seite vollständig automatisieren und mit einer genügend hohen Abfragefrequenz auch große Webserver an den Rand ihrer Leistungsfähigkeit bringen können. Das sogenannte "killerbullet script" ist sogar in der Lage, eine Webseite vollkommen zu blockieren, jedoch wurde dessen Einsatz in der Schlacht gegen eToys nicht in Erwägung gezogen: "Es ging um den symbolischen Ausdruck der Breite des Protests und nicht um einen Terroranschlag."22

Weiterhin gibt es Skripte, welche einen Web-Server zur Abarbeitung unterschiedlicher Routinen nötigen. Diese können einerseits auf Internet-Servern installiert sein, oder aber auf dem heimischen PC. Besonders raffiniert war im Toywar das Skript "killertoy.html". Bei elektronischen Einkaufshäusern, zu denen auch eToys gehört, hat der Kunde meist die Möglichkeit, einen virtuellen "Einkaufskorb" zu füllen. Den Kauf tätigt man erst ganz zum Schluss mit einer Bestätigung. Wird nun ein solcher Einkaufskorb bei jedem Besuch immer weiter gefüllt, ohne dass es zu einem Kauf kommt, ist der Web-Server gezwungen, immer größere Listen durchzurechen und jeder Rechenprozess schlägt sich in der zur Verfügung stehenden Performanz des Rechners nieder. Killertoy.html hatte genau diese Tätigkeit des rein virtuellen Shoppings ohne realisierten Kauf zur Aufgabe. Der von den Ökonomen prophezeite Boom im E-Commerce wird hier quasi ernst genommen und ins Absurde gesteigert, getreu nach dem Toywar-Motto "to hype out the hype". Dass der schnelle Aufstieg und Fall dieser E-Commerce Unternehmen zum großen Teil einem "Hype" geschuldet ist, ist wohl auch eToys zum Verhängnis geworden, denn diese mussten sich Ende Januar 2000 geschlagen geben. Dies soll im nächsten Abschnitt kurz vertieft werden.

New Economy

"Der Markenname ETOY wurde geschaffen, um die Kunst in Konkurrenz zum Kommerz treten zu lassen."23

Ein Aspekt der New Economy im Informationszeitalter ist, dass ihr Bezug zur Realität teilweise nicht mehr deutlich wird, dass heißt, dass ihr Börsenwert in keinem Verhältnis zu der realen Wirtschaftleisung steht. Überdeutlich zeigt sich dies etwa im direkten Vergleich der "alten" und der "neuen" Ökonomie. Im Januar 2000 übertraf der Börsenwert der Firma Yahoo, die ein Internet-Portal betreibt, den Börsenwert von VW, Veba, BASF, Metro und Lufthansa zusammengenommen. Yahoo, als "Ikone" der neuen Ökonomie hatte dabei einen Marktwert von 176 Mrd. DM, die Repräsentanten der alten Ökonomie lediglich 174 Mrd. DM. Im Geschäftsjahr 1999 erwirtschaftete Yahoo allerdings nur einen Umsatz von 1,1 Mrd. DM bei einem Gewinn von 0,1 Mrd. DM. Die Unternehmen der alten Ökonomie hatten hingegen einen Umsatz von 327 Mrd. DM und einen Erlös von 8,98 Mrd. DM.24 Worin aber diese übertriebene Bewertung der Unternehmen aus der New Economy begründet liegt, ist vollkommen unklar:

"Deshalb vermag auch niemand zu sagen, warum dieser oder jener Kurs plötzlich nach oben schießt oder in den Keller fällt. Das liegt im Wesen dieser Papiere, denn sie spiegeln ja nicht die Wirklichkeit, sondern die Einschätzung einer zukünftigen Entwicklung."25

Um von Investoren möglichst hoch bewertet zu werden, sind die Protagonisten der New Economy darauf angewiesen, ihr Konzept, ihre Geschäftsidee als möglichst gewinnbringend darzustellen, schließlich haben sie ja meist außer einer "Story" nichts vorzuweisen: "On this virtual terrain, myths, utopies, stories and rumour are the deciding factors for loss or win of trillions of dollars."26 Ein fast schon plakatives Beispiel gibt hier der Spielzeughändler eToys ab. Sein Aktienwert stieg nach dem Börsengang am 20. Mai 1999 bis zum Beginn des Toywar im Dezember des gleichen Jahres auf 10 Milliarden Dollar, der Wert einer Aktie stieg von $ 20 auf $ 67. Besonders absurd ist dies aus dem Grunde, dass eToys zum Zeitpunkt seines höchsten Wertes bei jedem Umsatzdollar 60 Cents Verlust machten, sie also in der Tat noch nie Gewinn gemacht haben.27 Ob ein Unternehmen überhaupt profitabel ist, scheint in der New Economy keine Rolle mehr zu spielen, so dass neugegründete Firmen möglichst schnell an die Börse drängen. Sicherlich ist eine solche Strategie sinnvoll, wenn es darum geht, sich auf dem Markt zu etablieren, der ungeheure Marktwert von den sogenannten "Start-Ups" ist allerdings rein Wechsel auf eine höchst ungewisse Zukunft.

Wie ungewiss die Zukunft sein kann, zeigt sich allzu deutlich an eToys Aktienwert nach Beendigung des Toywars, als die Spielzeughändler im Konflikt mit den Künstlern einlenkten: "Im Laufe von 81 Tagen verlor eToys $ 4,5 Mrd. an Börsenwert und sponserte damit die teuerste Kunstperformance der Kunstgeschichte."28 Nun ist es ganz und gar nicht eindeutig, ob der starke Wertverlust der eToys-Aktien auf dem Toywar beruht. Es spielten mehrere Parameter zusammen, jedoch war in der instabilen Situation, in welcher sich eToys zum Ende des Jahres 1999 befand, negative Publicity das letzte, was sie gebrauchen konnten. Für genau eine solche negative Öffentlichkeitsarbeit hatten die Kontrahenten im Toywar gesorgt, so dass eToys schließlich die Klage fallen ließen und den Künstlern volle Entschädigung für Anwalts- und Prozesskosten erstatteten. Von RTMark als das "Brent-Spar"29 des E-Commerce bezeichnet, bedeutet das Einlenken von eToys ein signifikantes Ereignis in Hinsicht auf die Kommerzialisierung des Internet. Große Unternehmen könnten sich in Zukunft nun genötigt sehen, Rücksicht auf die Interessen anderer zu nehmen. Eine denkbare Alternative wäre aber auch, das Internet sowohl rechtlich als auch technisch so weit in den Griff zu bekommen, dass Gegenreaktionen, wie der "Toywar", nicht mehr möglich sein werden.

Vergleicht man die Aktienkurse von etoy und von eToys für die Zeit des Toywars, sieht man deutlich, wie sich beide vollkommen gegenläufig entwickeln (Abb.28). Die Aktien der Künstler sind zwar nicht zuletzt ein Kunstprojekt, mehr Spiel als Ernst, im direkten Vergleich zu den eToys Aktien wird allerdings deutlich, dass auch die "reellen" Aktien allenfalls einen spekulativen, fast rein ideellen Wert haben. Die Technologiebörse NASDAQ, an der die Aktien der Unternehmen der New-Economy gehandelt werden, ist selbst schon so etwas wie ein Kunstobjekt, ein absurdes Spiel:

"It's a twisted story about value, about revenue, cultural value, and Internet companies. Our idea and concept ist to make people think about these things. We produced an insane story placed in this stock market world, which is if you take a close look, as twisted as the etoy.REALITY."30

Die zweischneidige Realität der Schweizer Künstler, die bereits bei den etoy.TANKS gezeigte Verwirrung der Grenzen zwischen Virtualität und Realtität wird von etoy als "surreal"31 bezeichnet. Besonders deutlich wird ihr Hang zum Surrealen in ihrer Affinität zur New Economy, für die schließlich ebenfalls das etoy-Motto gelten könnte: "leaving reality behind ..."32

Der Domain-Namenskonflikt mit dem E-Commerce Giganten eToys war also richtiggehend ein Glücksfall für die Künstlergruppe. Nicht nur, dass sich ihr eigener Börsenwert in Relation zum Sturz des Spielzeughändlers in neue Höhen aufschwang, verwirklichte sich das etoy.SHARE Konzept doch erst durch den unmittelbaren Vergleich der surrealen etoy-Aktien mit den nicht minder surrealen eToys-Aktien: "Now we're overloaded with requests, because people are really starting to understand what this is all about - that this is a comment about the world and the situation on the Internet (startup companies, speculations, NASDAQ, etc.)"33

Um keinen falschen Eindruck zu erwecken, muss noch darauf hingewiesen werden, dass die Schweizer Künstlergruppe etoy sich explizit für kommerzielle Internet-Angebote ausspricht. Anders als RTMark, deren wesentliches Anliegen Kritik am Primat des globalisierten Kapitalismus ist, findet sich bei etoy kein solch klar formuliertes Ziel. Könnte man erstere ein wenig zugespitzt als die Repräsentanten des "alten Netzes" mit einer klar formulierten Ethik bezeichnen, so sind etoy am neuen, kommerzialisierten Netz orientiert. Das neue Netz erzielt seine Popularität gerade durch die Pluralität seiner Angebote, es ist eben nicht mehr nur das Internet der Hacker und Wissenschaftler:

"Wenn man einerseits fordert, dass das Netz allen zugänglich sein soll, dann heißt das andererseits auch, dass alle daran teilnehmen werden, vom Briefmarkensammler bis zum Kleinwagenhändler. Uns genügt es nicht, das "neue Netz" und dessen fortschreitende Kommerzialisierung von vornherein zu verurteilen. Punktuell oder in spezifischen Bereichen kritisieren oder reflektieren wir bestimmte Entwicklungen."34

Eine dieser sich andeutenden Entwicklungen ist es, die ich nun in meinem abschließenden Kapitel aufgreifen möchte. Gemeint ist ein Umbau des Internet von einem dialogischen, gemeinschaftskonstituierenden Medium zu einem sich nahtlos über den Nutzer schließenden Distributionsmedium digitalisierter Kulturprodukte.



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